„Zu meinen Verständnis: Lucy und Gerrit sind deine Eltern?“, unterbricht sie mich.
„Ja, die leiblichen. Bei mir ist alles ein bisschen komplizierter mit leiblichen und tatsächlichen Eltern.“
„So hört sich das an.“ Sie schaut eine Weile versonnen in ihren Tee, dann fragt sie: „Wie lange wird er bleiben?“
„Das weiß ich nicht. Wir haben noch nicht drüber geredet. Ich weiß nicht mal, ob er hier leben will oder ob er nur als Urlauber hier ist. Sein Vater hat mir aber ausrichten lassen, ich sei willkommen.“
Gemessen an der Jahreszeit ist es warm, die Sonne scheint und hier zwischen den Häusern bewegt sich kein Lüftchen. Um den Rest des Tages Zeit für Cornelius zu haben, repariere ich die Hollywoodschaukel gleich nach dem Frühstück. Heute ist zwar Sonntag, aber ich definiere die Reparatur nicht als „Arbeit“, sondern als „Zeitvertreib“ (schließlich ist Cornelius noch nicht aufgestanden), außerdem bin ich ja das Geburtstagskind, und das darf alles.
Als ich zusammen mit Tante O, die mit dem Ergebnis meines Zeitvertreibs sehr zufriedenen ist, das erste Probesitzen unter dem neuen Dach mache, werden wir unerwartet heftig angeschoben. „Es quietscht grauenhaft“, bemängelt mein Bruder. „Wäre ich nicht schon wach gewesen, wäre ich davon bestimmt aufgewacht.“
„Guten Morgen“, sagt Tante O und erkundigt sich schlitzohrig: „Konntest du nach dem schönen Gesang nicht wieder einschlafen?“
„Schöner Gesang?“ Er tut ahnungslos. „Hab keinen gehört. Oder meinen Sie das komische Gejaule, als hätte einer einem Hund auf alle vier Pfoten zugleich getrampelt?“
Ich sehe es an der Zeit, von etwas anderem zu reden. „Willst du erst was essen, oder direkt zum Strand?“
„Hm“, macht er, und Tante O bietet ihm den Platz an ihrer Seite an: „Setz dich, im Sitzen denkt es sich leichter.“
Cornelius plumpst auf den blumigen Kissenbezug, und sagt: „Hoffentlich fang ich bei der Schaukelei nicht wieder an zu reihern.“
„Macht nichts, wenn, du hast ja noch nichts gegessen“, kommentiere ich. „Hier bist du mir jedenfalls nicht ähnlich. Hätte mich einer gefragt, Essen oder Strand, hätte ich Essen gesagt, und zwar ganz viel. Und dann Strand, und davon auch ganz viel.“
Cornelius wiederholt sein „Hm“, dann meint er, dass meine Reihenfolge nicht verkehrt sei und geht ins Haus zurück. Das Frühstück haben wir auf dem Küchentisch stehen gelassen.
„Äußerlich ist er dir aber sehr ähnlich“, sagt Tante O. „Ich bin gestern ja auch fast drauf reingefallen. Schade, dass Ieuwkje nicht hier ist.“
„Das wäre bestimmt lustig geworden. Und, wie findest du ihn?“, erkundige ich mich.
„Er ist ganz anders als du. Du bist ein ziemlich höflicher Mensch und schreist nicht so leicht rum. Sowas wie heute früh hättest du nie gemacht. Er hat mehr Kanten als du“, überlegt sie laut, und fragt dann: „Christ ist er nicht, oder?“
„Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, ihn darauf anzusprechen“, entschließe ich mich zu einem außerordentlich wohlformulierten Satz.
Es würde mich aber freuen, wenn er es wäre, weil das mein Zusammenleben mit ihm bestimmt einfacher machen würde. Ich müsste nicht permanent Angst um seine Seele haben und ihn mit seiner Rolle in der Ewigkeit nerven, und wir hätten schon einen Grund weniger, in Streit zu geraten. Mit Helena habe ich darüber oft gesprochen, und jeder meiner Überzeugungsversuche hat im Streit geendet. Sie hat mir Blauäugigkeit vorgeworfen (wieso, ich habe doch graue Augen) und dass ich mich von irgendwelchen Rattenfängern habe bequatschen lassen, die es nur auf mein Geld abgesehen hätten, und so weiter und so fort. Hätte sie mich geschlagen, hätte es mir kaum mehr weh getan.
„Das mit den Kanten kann man nicht so sagen“, holt Tante O mich aus der Grübelei über Helenas Ansichten zu meinem Weltbild zurück in ihre Hollywoodschaukel. „Er hat nicht mehr Kanten als du, sondern andere. Seine Kanten sind offensichtlicher als deine, man stößt sich schneller an ihnen. Impulsiv scheint er zu sein, und nicht so schüchtern wie du.“
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