28. Juni 2015

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„Weil ich nicht zwei Jahre in den teuersten Sprachkurs der Stadt investiert habe, um mir dein lausiges Schulenglisch anzuhören, darum! Außerdem: Warum nennst du mich die ganze Zeit Cornelius? Ich hab dir gesagt, meine Freunde nennen mich Corn, Corny oder Nelly. Aber du kommst endlos mit dem ganzen langen Namen an. Find ich auch nicht besser.“
Das wäre zwar kein Thema gewesen, das ich in so großer Runde angesprochen hätte, aber da wir nun mittendrin sind, stehe ich Rede und Antwort. „Eben. Deine Freunde nennen dich Corn, Corny oder Nelly. Bin ich dein Freund? Bis jetzt noch nicht, nur der plötzlich gefundene Halbbruder, weiter nichts. Wir kennen uns noch nicht mal vierundzwanzig Stunden, was erwartest du eigentlich? Also nenne ich dich so, wie du dich mir vorgestellt hast.“
„Du bist echt ganz schön kompliziert mit deinem „Freund oder nicht“ und so“, brummelt er und sieht die Debatte als beendet an.
Marc ist noch nicht ganz fertig. „Hau halt wieder ab, wenn’s dir hier nicht passt.“
Ob er das ernst meint oder die Ironie nur gut verborgen hat, weiß ich nicht, aber es ist schon ein starkes Stück. Cornelius schaut nicht auf, aber mir scheint, dass er zusammengezuckt ist. „Bisschen netter, ja?“, fordere ich Marc auf. „Wir müssen nämlich beide noch üben, wie das ist, auf einmal einen fast gleichaltrigen Bruder zu haben. Du hattest deinen Bruder schon, als du auf die Welt gekommen bist.“
Anno und Boje nicken zustimmend.
Marc passt es offensichtlich nicht, dass ich ihn vor den anderen zurecht gewiesen habe. Er sagt, dass er noch was zu tun hat und verlässt die Kneipe grußlos.
Nachdem wir eine Weile schweigend dagesessen haben, sagt Anno entschuldigend: „Er hat schon wieder Zoff mit seinem Chef. Der hat gesagt, wenn er seinen fetten Arsch nicht schneller vom Fleck kriegt, holt er sich ‘nen Polen oder ‘nen Russen, die diskutieren weniger und arbeiten mehr. Wörtlich. Papa hat es mir erzählt, der war dabei, und noch zwei ziemlich geschniegelte Typen, vielleicht Kunden, was weiß ich. Festländer jedenfalls. Nicht besonders nett von einem Chef, seine Angestellten vor Kundschaft so zur Sau zu machen.“
„Es ist insgesamt nicht nett, einem Menschen solche Dinge zu sagen“, meldet Cornelius sich zu Wort. „Was arbeitet er denn?“
„Maurer. Wenn er sich eine neue Stelle suchen will, muss er dafür umziehen, es gibt hier auf der Insel nämlich nur diesen einen Baubetrieb“, erklärt er.
Mein neuer Bruder versteht es dennoch nicht. „Na ja, aber wenn er mit seinem Chef nicht zurecht kommt?“
„Das ist eine längere Geschichte. Es wäre wahrscheinlich nicht in seinem Sinne, wenn ich das weitertrage.“
„Erst recht an mich“, vermutet Cornelius.
„Das hat nichts mit dir zu tun“, beruhigt Anno ihn lächelnd und erhebt sich. „Ich hoffe, ihr seid nicht böse, wenn ich euch auch alleine lasse. Ich geh mal gucken, was er so treibt.“
„Richte ihm gute Besserung aus, oder was man da bei euch so sagt“, bittet mein lieber kleiner Bruder. Scheinbar ist er längst nicht so cool, wie er immer tut.
Kaum, dass wir nur noch zu dritt sind, sagt Boje, dass wir uns besser ohne Zuschauer kennen lernen sollen und verschwindet auch. Das ist nett von ihm. Ich mag Boje gern, auch wenn er die meiste Zeit schweigt.
„Weg ist er. Warte mal, es gibt ein Lied, das geht ungefähr so“, überlegt Cornelius, dann improvisiert er: „Drei kleine Jungens wollten Pommes essen, der dritte kriegt Kartoffelbrei, da war’n es nur noch zwei.“
Erfreut steige ich in die Disziplin ein und dichte weiter: „Zwei kleine Jungens saßen in ‘ner Kneipe, der eine will sein Bier nicht mehr und nimmt den andern mit ans Meer.“
„Und was macht die arme Kneipe so ganz ohne kleine Jungens?“, fragt er kichernd.
„Eine kleine Kneipe wartet sieben Tage bloß, dann ist wieder Freitag und es geht von vorne los. Normalerweise kommen auch ein paar Mädchen zu den Jungens. Keine Ahnung, wo die heute alle waren.“
Mein Bruder trinkt aus. „Und was ist mit dem Meer?“, fragt er erwartungsvoll.
„Nur die Ruhe, ein alter Mann ist kein Rennauto.“
„Du und alt, haha, ich lache.“ Wieder streichelt er mir über den Kopf, dann geht er zur Tür mit dem aufgemalten Kapitän, um sein warmes Bier loszuwerden.

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