28. Juni 2015

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Verdattert guckt Tante O zwischen uns beiden hin und her. Dann beginnt sie zu lachen. „Donnerwetter, Jeremy, die Überraschung ist dir gelungen.“ Sie umarmt mich, dann streckt sie Cornelius die Hand hin und sagt freundlich: „Herzlich willkommen auf Dersummeroog. Ich bin Oda Sierksma.“
Er erwidert ihren Händedruck und sagt: „Ich heiße Cornelius McLachlan. Ich bin sein Halbbruder.“ Dabei zeigt er auf mich.
Tante O nickt. „Das kann man sich fast denken. Sie sind Ihrem Bruder sehr ähnlich.“
„Ach, bitte“, macht er verlegen, „sagen Sie nicht Sie zu mir, ich fühle mich dann so alt. Ich bin ja sogar jünger als Jeremy. Okay?“
Tante O lacht wieder. „Das mache ich gerne, Cornelius“, verspricht sie und schaltet den Fernseher aus. „Möchtet ihr jeder ein eigenes Zimmer haben? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das Doppelzimmer auch noch hergerichtet. So stehen da jetzt allerdings einige Sachen drin herum, weil zurzeit niemand sonst gebucht hat.“
Ich mache Körperbewegungen, die meine Unentschlossenheit verdeutlichen, denn ich weiß es nicht. Mir ist es egal.
Mein kanadischer Bruder weiß es auch nicht und fragt mich: „Schnarchst du?“
„Nein“, behaupte ich überzeugend und Tante O, sofern sie anderer Meinung ist, lässt sich nichts anmerken.
„Sie können uns auch ein gemeinsames Zimmer geben. Es ist schon dreist genug von mir, unangemeldet hier aufzukreuzen.“
„Keine Rede!“, bestreitet sie. „Im Gegenteil, ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen.“
Cornelius gibt sich offenbar geschlagen. Genau wie ich gerade hebt er die Schultern und sagt: „Ich freu mich auch.“ Nun wendet er sich flüsternd an mich: „Wo gibt’s denn ein Klo?“
Im Gänsemarsch gehen wir aus dem Zimmer. Neben der Eingangstür befindet sich hinter einer schmalen Tür das gewünschte Örtchen. „Ich bring schon das Gepäck rauf“, informiere ich. Er verschwindet und zugleich tritt Tante O hinaus auf den Flur.
„Stell dir vor, er stand plötzlich bei mir vorm Haus, als ich gerade zu dir unterwegs war“, erkläre ich ihr nachträglich. „Ich wollte ihn nicht in Zuyderkerk stehen lassen, da hab ich ihn mitgenommen. Ich weiß nicht, was mit Cornelius ist, aber ich hab Hunger.“
„Das dachte ich mir.“ Dabei fällt ihr ein: „Ach, könntest du vielleicht die Klappliege aus der Abstellkammer holen? Mir ist die zu schwer, sonst hat Ieuwkje das immer gemacht. Sie steht links neben der Tür. Dann kannst du sie im Zimmer direkt dahin stellen, wo ihr sie haben wollt, oder du räumst das Doppelzimmer leer und kannst sie dahin stellen.“ Sie hält kurz inne, dann fügt sie hinzu: „Wenn du das Doppelzimmer frei räumst, brauchst du die Klappliege nicht zu holen, da sind schließlich genug Betten drin.“
„Vielleicht will Cornelius gar nicht alleine schlafen. Wenn ich er wäre, würde ich lieber nicht alleine im Zimmer schlafen wollen.“ Neben dem Haus stehen zwei große Kiefern, deren Äste das Dach berühren. Wenn es windig ist, kann es sich für fantasievolle Leute anhören, als liefe jemand auf dem Dach herum. (36)
„Ja, frag ihn mal, was er von den verschiedenen Möglichkeiten hält“, sagt Tante O, während ich schon mit meiner sowie den meisten seiner Taschen auf der Treppe bin. Cornelius folgt mir kurz darauf mit seinem restlichen Kram.
Mit irgendeiner zufällig freien Körperecke klinke ich die Tür gegenüber vom Bad auf und betrete das Gästezimmer, das ich bewohne, seit ich alleine herkomme. Als ich das Gepäck auf dem Bett abgelegt habe, eröffne ich: „Es gibt vier Möglichkeiten für die nächste Nacht. Erstens, du schläfst im Bett und ich auf der Liege, die ich gleich hole, zweitens, ich schlafe im Bett und du auf der Liege. Drittens, einer von uns schläft im Doppelzimmer“, ich weise mit einer Kopfbewegung auf die entsprechende Tür etwas weiter hinten. „Oder viertens, einer von uns schläft auf der Kaap Hoorn. Dazu würde ich vorschlagen, dass ich das tue, weil ich die Nacht dort vielleicht besser vertrage und außerdem den Weg finde.“

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