Keine Ahnung, wie lange ich auf der Insel bleiben werde, das mache ich ganz und gar vom Wetter abhängig. Ich will schließlich nicht mit der Fähre zurück kommen und meine Kaap Hoorn dort überwintern lassen müssen. Erstens kann ich mir unmöglich auch noch auf der Insel einen Liegeplatz leisten und zweitens habe ich mein Schiffchen gerne in meiner Nähe.
Als ich von der ersten Tour zum Hafen zurück bin, packe ich Kleinkram, was ich zum Anziehen brauche und einige andere Sachen in meine erprobte Uralt-Reisetasche und verlasse meine Wohnung so ordentlich es mir vor lauter Fernweh und Segelvorfreude möglich ist. Im Rausgehen fällt mir ein, dass ich etwas vergessen habe, und ich kehre um.
Bei einem der letzten Unwetter ist ein Ast in Tante Os Hollywoodschaukel gekracht und hat das Stoffdach durchschlagen. Tante O hat mir am Telefon von dem Schaden erzählt. Spontan habe ich ihr angeboten, das alte Gartenmöbel zu reparieren. Ich krame aus meinem Materiallager ein Stück Segeltuch, das stabil genug sein wird, um die nächsten Stürme zu überstehen. Dazu kommt noch eine Tasche mit Werkzeug. Etwas liegt nicht an seinem Platz und die Suche danach kostet mich ungefähr zehn Minuten, aber schließlich kann ich behaupten, ich hätte sie alle und verlasse die Wohnung.
Ich kann nicht mehr über den Packen auf meinen Armen sehen, aber das macht nichts, ich kenne die Treppe mit ihren drei unterschiedlich engen Kurven längst auswendig.
An der Haustür steht ein junger Kerl mit langen Haaren und einer halb gerauchten Zigarette lässig im Mundwinkel. Mit einem Finger drückt er den messingfarbenen Klingelknopf ein, an dem mein Name steht. Ich weise mit dem Kinn auf das Klingelbrett aus rötlichem Holz und sage, dass ich das bin. Der Typ nimmt die Zigarette aus dem Mund und starrt mich an, als käme ich statt aus dem Treppenhaus geradewegs vom Mond.
„Was gibt’s denn?“, frage ich. „Ich hab’s ein bisschen eilig, ich wollte zum Hafen, aber wenn du willst, kannst du mitkommen“, biete ich an.
Mit strahlendem Lächeln sagt der Fremde: „Hallo Jeremy! Ich bin’s, Corny!“ Er wartet offenbar auf eine Reaktion. Weil ich aber keine zeige, präzisiert er: „Cornelius McLachlan.“
„Aha“, mache ich. Ich kenne zwar ein paar Leute, die Cornelius heißen, aber diesen hier nicht, da bin ich mir ausnahmsweise sicher. Mit dem Nachnamen könnte er ein Schotte sein. Schotten sind jedoch absolute Mangelware in meinem Freundeskreis.
Sein Lächeln gelingt nicht mehr besonders strahlend. „Erinnerst du dich nicht an mich?“
Langsam frage ich mich wirklich, was der Typ von mir will. „Nein, woher?“ Sein Niederländisch klingt reichlich gewöhnungsbedürftig. Anscheinend kommt er aus einem fremden Land. Ich bin mir damit nicht sicher, aber seine Muttersprache war es nicht.
„Ich komme aus Calgary in Kanada. Dein Pa hat mir gesagt, dass du hier wohnst.“
Mit der Muttersprache hatte ich wohl recht. Vielleicht kann man in Kanada nicht ordentlich Niederländisch lernen, denke ich, bis ich hellhörig werde: „He, Moment mal, woher kennst du Gerrit?“ Und was fällt dem ein, einfach so meine Adresse weiterzugeben?! Auf englisch lege ich nach: „Und was willst du eigentlich hier, Cornelius McLachlan?“ Ich stelle den Packen Kram auf dem Boden ab, bevor ich Arme wie ein Orang-Utan kriege. Es scheint ein bisschen länger zu dauern.
Der Kanadier räuspert sich und quält sich weiter durch meine schöne Heimatsprache, obwohl ich ihm das Englisch sozusagen angeboten habe: „Wir sind Halbbrüder. Ich will dich kennen lernen. Ma hat von dir erzählt. Dass sie dich gar nicht kennt, und dass du sie bestimmt auch nicht erkennen würdest.“ Nach einem kurzen Stocken spricht er weiter: „Und da wollte wenigstens ich dich kennen lernen. Für Ma ist es ja zu spät.“
„Aha“, mache ich wieder und tue, was ich angeblich immer tue, wenn ich etwas überhaupt nicht kapieren kann: ich fasse mein Gegenüber an. (34) Es ist sicher kein Zufall, dass greifen und begreifen so nah verwandte Wörter sind.
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