5. Juni 2015

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Andjo sagt: „Ich möchte dich warnen. Der Schulleitung ist nicht entgangen, dass du im Frühsommer ziemlich viel woanders gewesen bist, entweder nur in Gedanken oder sogar tatsächlich abwesend. Die Woche jetzt solltest du dringend als Friedensangebot der Schulleitung an dich verstehen. Wenn einer vor den Trümmern einer langjährigen Beziehung steht, kann er nicht konzentriert arbeiten, das ist unseren Oberen klar wie jedem anderen Menschen auch.“
Von außen versucht jemand die Tür zu öffnen und ich gehe beiseite. Es ist Wiebke Johnsen, die Leiterin der Cirkelen.
„Morgen, Wiebke“, begrüßt Andjo sie und bittet: „Sei so gut, warte noch einen kurzen Moment, wir sind hier gleich fertig.“
Also mache ich die Tür wieder zu. So langsam habe ich ein flaues Gefühl in den Knien. Was will sie mir denn noch sagen?
Sie lächelt. „Wir hier als Team der ersten beiden Gruppen haben einen guten Zusammenhalt. Und das weiß die Schulleitung auch. Deswegen rechnet sie damit, dass ich an dich weitergebe, was ich gehört habe. Gewissermaßen hat sie es mir gesagt, damit du es von mir erfährst und nicht von oben. Ich rate dir also, im nächsten Jahr ziemlich wenig krank zu feiern.“
Jetzt muss ich sie ja doch mal unterbrechen: „Stehe ich unter Beobachtung?“
„Nicht mehr als die anderen auch. Wir sind eine private Schule, das ist das Recht unserer Geldgeber. Ich habe dich gewarnt, du weißt, wie du das zu verstehen hast. Handel bitte entsprechend.“ Jetzt lächelt sie richtig. „Grietje kann eine Woche auf dich verzichten, aber ich glaube, länger will sie einfach nicht ohne dich arbeiten.“
Ich nicke erneut.
„Und jetzt kannst du die Tür wieder aufmachen.“

Die übrigen Kolleginnen freuen sich ebenfalls, dass ich zurück bin und die Kinder sowieso.
Nach dem Stuhlkreis lasse ich mich von ein paar Mädchen überreden, ihre Lieblingsbücher vorzulesen, anschließend darf ich zusammen mit zwei Jungs ihr Piratenschiff besichtigen. Sie haben es aus großen Schaumstoffelementen, Bettlaken und einigen Möbelstücken erbaut. Bis zum Frühstück erklären sie mir in aller Ausführlichkeit, wie sie sich das Leben als Pirat vorstellen und dass das auf jeden Fall ihr Beruf wird, wenn sie groß sind.
Die Schilderungen sind ein großer Erfolg und eine Bestätigung Grietjes und meiner Arbeit. Als die beiden im Sommer zu uns Driehoeken kamen, konnten sie kaum in vollständigen Sätzen sprechen. Der eine, Sohn kurdischer Eltern, hatte zuhause nur ihren Dialekt gesprochen, insofern verwundert es nicht besonders, dass er die Amtssprache seines Geburtslandes nicht beherrschte. Und der andere ist mit Missbildungen im Rachenbereich zur Welt gekommen, da ist es eine doppelte Freude zu hören, wie gut er sich jetzt verständigen kann.
Früher haben die anderen Kinder die beiden gemieden, inzwischen sind sie fest integriert. Ich denke, die Sprachkenntnisse haben daran einen Anteil. Solche Erfolgserlebnisse geben uns die nötige Geduld, weiter zu machen, wenn es mal bei einem unserer kleinen Schüler nicht so recht vorangehen will.

Im Sprachunterricht habe ich derzeit wieder zwei ausländische Kinder; beide sind in Polen geboren. Die Eltern sind Saisonarbeiter gewesen und haben sich nun hier bei uns niedergelassen. Ich hoffe, dass es den Kindern hilft die Sprache zu lernen, wenn ich sie gemeinsam unterweise. Noch ist es aber zu früh für eine Beurteilung dieser Methode, ich habe ja erst im Sommer mit ihnen angefangen.
Zum Glück haben sie nicht alles vergessen, obwohl ich eine Woche nicht da war.
Das ist mir mal mit einem anderen Kind passiert, es war geistig etwas minderbemittelt. Für einen Lehrer ist das eine schwierige Situation, weil man seine Qualitäten ja oft am Erfolg der Arbeit misst. Man ist gut beraten, diese falsche Einschätzung abzulegen – aber wer ist schon immer so selbstreflektiert? Ein Elterngespräch konnte in diesem Fall Abhilfe schaffen. Die Eltern wussten bereits um die geringen kognitiven Fähigkeiten ihres Sprösslings und gingen vernünftig damit um. (31)

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