„Was soll das Vorurteil, dass ich nicht viel lesen würde? Ich lese fast jeden Tag, nämlich Kochbuch, du Banause. Also kommt das Bücherbord in den Flur, ich säge ein Stück ab, so ist es zu lang.“ Die Idee ist mir gerade gekommen, sozusagen als spontane Trotzreaktion gegen Pieters Unterstellung. „Und eine Werkstatt mit Sofa ist doch eine feine Sache. Die Sessel wollte ich zum Sperrmüll schmeißen, ich habe sowieso nicht oft drin gesessen. Bloß kriege ich sie alleine nicht aus der Wohnung. Die sind tonnenschwer.“
„Tonnenschwer“, wiederholt er und grinst.
Klar, der hat gut lachen. Mein werter Kumpel ist ungefähr genauso groß wie ich, wiegt aber rund 15 Kilo mehr, und ich glaube, es sind alles Muskeln. Er sieht immer toll durchtrainiert aus, und so bewegt er sich auch. Manchmal packt mich der unkontrollierte Neid und dann will ich auch so aussehen und mich so bewegen können. Aber da wird nie was draus werden, selbst wenn ich ab sofort wie bekloppt trainieren gehen würde. Unsere Körper arbeiten leider mit völlig unterschiedlichen Nährstoffverwertungsmustern.
„Jawohl, tonnenschwer. Es wäre nett von dir, wenn du mir helfen würdest“, erkläre ich formvollendet.
„Dann will ich mal sehen, was sich da machen lässt“, beschließt er gönnerhaft und wendet sich einem der zum Sperrmüll Verurteilten zu. Vorbildlich rückenschonend geht er in die Knie und stemmt den ersten Sessel an. Dann setzt er ihn abrupt ab und murmelt „Holy Shit!“
„Sag ich doch“, sage ich triumphierend.
„Wie haben wir die denn hier rauf gekriegt?“
„Wir gar nicht. Du warst in Italien. Zum Glück wurden sie geliefert, also waren zwei Möbelmänner da. Die haben die Füßchen abgeschraubt und den Kram dann mit Tragegurten … und der nötigen Erfahrung … raufgeschafft. Wir sind allerdings nicht drauf angewiesen, dass unten funktionierende Sessel ankommen, wir können sie hier oben zerlegen.“
„Dann sollten wir das tun. Morgen. Vermutlich freut sich die Frau unten ja nicht so, wenn gleich der große Lärm über ihrem Schlafzimmer losgeht.“
„Gute Idee. Du könntest ja morgen Vormittag kommen, dann ist keiner sonst im Haus. Ich hab morgen noch frei. Geht das?“
Von Beruf her ist Pieter Mechatroniker, aber an seiner letzten regulären Arbeitsstelle ging es ihm nicht gut. Also hat er sich mit einem kleinen Fahrradladen selbstständig gemacht. Bei ihm gibt es gebrauchte Fahrräder zu kaufen und Reparaturen aller Art.
Ansonsten widmet er sich zwei reichen Gören, die er als persönlicher Fitnesstrainer bei ihren Ausflügen ins Sportcenter in Hoorn begleitet. Natürlich tut er das für jede einzeln. Erstens können sie sich das leisten, und zweitens würde es sicher keinen Sport geben, sondern nur Angiften und Konkurrenz. Manchmal erzählt er ein bisschen von den Mädels, die ihm oft ziemlich auf die Nerven fallen. Aber sie tragen ihren Teil zu seinem Überleben bei, also befasst er sich weiter einmal pro Woche mit ihnen.
„Hm“, überlegt er laut vor sich hin, „morgen ist Mittwoch … ich hab im Moment keine Aufträge, ich könnte die Werkstatt vormittags zu lassen … Ja, das geht. Wie wär’s, wenn du mich zum Frühstück einlädst?“
„Das könnte ich tun. Wenn du um halb zehn kommst, kann ich vorher noch einkaufen gehen, das hab ich heute nicht mehr geschafft. Deswegen war der Auflauf etwas einseitig.“
„Einseitig?“, macht Pieter erstaunt, und als ob er in sich horchen würde, fragt er noch einmal: „War der Auflauf einseitig?“ Aus seinem Innern ist – zumindest für meine Ohren – keine Antwort zu hören. „Also, hör mal, schleif mir den Kerl her, der behauptet, der Auflauf wäre einseitig gewesen, dann werd’ ich dem was erzählen.“
Das mag ich an Pieter. Er ist fest davon überzeugt, dass ich ein erstklassiger Koch bin und lässt üblicherweise keine Gelegenheit aus, das auch unseren Mitmenschen einzureden.
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