Sie kann das nicht ernst gemeint haben!
Nachher werde ich sie anrufen und bitten, mir zu erklären, was sie dazu gebracht hat, Schluss zu machen. Wir müssen das vernünftig und wie zwei erwachsene Menschen zu Ende bringen. Man kann mit mir über echt alles reden, warum also nicht darüber? Helena weiß doch, dass ich ein guter Zuhörer bin.
Aber was, wenn sie nicht zuhören will oder gleich wieder auflegt oder sagt, dass ich sie in Ruhe lassen soll? Wie soll ich sie in Ruhe lassen, wenn ich unbedingt mit ihr reden muss?
Sie will nicht.
Sie will mich nicht, sie will nicht länger mit mir befreundet sein, sie will gar nichts mehr mit mir zu tun haben. (Logischerweise will sie auch nicht, dass ich noch öfter anrufe.) Gestern war davon noch keine Rede, erst seit sie bei Kristien wohnt, ist sie so drauf. Bestimmt steckt ihre tolle Freundin dahinter, die konnte mich noch nie leiden. Was fällt der Zicke ein, sich in meine und Helenas Beziehung einzumischen?
Nachher irgendwann oder besser morgen werde ich mich in den Zug setzen und mal zu ihr rüber nach Alkmaar schaukeln. Ich muss persönlich mit ihr reden. Im direkten Gespräch ist vieles viel einfacher.
Zuerst muss ich mich aber mal zum Getränkehandel am großen Supermarkt aufmachen. Leider steht mein Fahrrad nicht an der Laterne vorm Haus, und ich habe keinen blassen Schimmer, wo ich es sonst abgestellt haben könnte. Hoffentlich ist es nicht geklaut worden!
Im Hof vom Getränkemarkt treffe ich Pieter, der dort, Zufall oder nicht, gerade mit einem Kasten Bier aus dem Gebäude kommt.
Pieter ist, soweit ich als Kerl das beurteilen kann, echt gutaussehend. Er hat kurze blonde Haare und blaue Augen. Dazu ist er groß und schlank und sportlich und hat genau an den richtigen Stellen die richtige Menge Muskeln. Wir kennen uns, weil wir früher Nachbarskinder waren und zudem fast gleichaltrig sind. Mit zehn Jahren bin ich nach Alkmaar umgezogen und dann haben wir uns nicht mehr gesehen, aber als ich zurück nach Zuyderkerk kam, ging es auch mit unserer Freundschaft weiter.
„Alter, was ist los?“, fragt er gleich. „Du siehst ziemlich scheiße aus.“
„So fühl ich mich auch.“ Ich stelle meinen leeren Kasten auf seinem vollen ab, um meine ausgeleierten Arme zu entlasten. Mein Zopf hat sich aufgelöst und ich binde ihn neu. Die Haare sind zerzaust und verknotet, denn ich habe sie heute noch gar nicht gekämmt. Bei so langen Haaren (3) hat das sofort Auswirkungen, und die Naturwelle tut noch ihren Teil dazu.
„Bist du krank?“, fragt er.
„Nee“, mache ich und lenke ab: „Bist du mit deinem Auto hier?“
„Ja, warum?“
Mir ist spontan der Gedanke gekommen, dass es vielleicht helfen könnte, nicht alleine zu sein. Das halte ich nämlich nicht aus. „Ganz einfach. Wir fahren zu mir und trinken das aus.“
„Ist gut“, sagt Pieter, „wir müssen nur eben zu mir fahren, damit ich Kees und Roel Bescheid sagen kann, dass sie ohne mich weiterarbeiten müssen.“
„Was macht ihr denn?“, erkundige ich mich. Die beiden Jungs sind seine Nachbarn, ich kenne sie vom Sehen.
„Wir renovieren Roels Wohnzimmer. Er wollte neue Tapeten haben, aber weil er das nie im Leben alleine hingekriegt hätte, ist eine Gemeinschaftsaktion draus geworden. Erst hat sich nur Kees eingemischt, jetzt häng ich auch schon drin. Mal sehen, wen sie sich nun dazu holen.“
Kurz darauf haben wir den einen Kasten bei seinen Nachbarn abgeliefert und fahren zu mir. Pieter muss sich nur im Flur umgucken und weiß schon Bescheid. Schließlich ist das Schuhregal bis auf meine Sandalen leer.
„Helena?“, fragt er trotzdem.
Ich nicke.
„Scheiße“, murmelt er.
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