4. Juni 2015

3

„Nun schrei aber mal nicht so rum“, fordert Kristien.
Davon halte ich nichts. „Helena?“, rufe ich in Richtung der angelehnt stehenden Wohnungstür, „Helena!“
„Jeremy!“, zischt Kristien, aber ich schiebe sie beiseite und gehe die restlichen Stufen herauf. Sie folgt mir und versucht mich zu überholen, und als das nicht klappt, ruft sie ihrer Freundin zu: „Mach die Tür zu! Ich konnte ihn nicht aufhalten!“
Das ist zu spät. Ich habe die Wohnung schon erreicht und stehe Helena im Flur gegenüber. Die Tür mache ich hinter mir zu, damit Kristien nicht dauernd dazwischen pfuscht.
„Du bist ja wirklich total voll“, stellt Helena ruhig fest. „Wie wär’s, wenn du wieder nach Hause fährst und dich ausschläfst?“
„Ich will nicht nach Hause fahren und schlafen, ich will wissen, was hier los ist!“
„Hier?“, wiederholt sie und seufzt. „Hier steht mitten in der Nacht ein besoffener Typ im Flur und schreit das ganze Haus zusammen. Mann, Jeremy, du benimmst dich echt peinlich!“
„Du könntest mir ja einfach mal antworten, zum Beispiel am Telefon, dann wäre ich nicht hergekommen!“
„Es gibt nichts zu antworten. Ich habe dir alles gesagt, es ist aus, fertig.“
Weil mir darauf nichts zu sagen einfällt, sagt sie: „Komm, ich fahr dich nach Hause.“ Sie zieht mich aus dem Eingang weg, damit sie die Tür aufmachen und Kristien wieder herein­lassen kann. „Gibst du mir bitte deinen Auto­schlüs­sel?“, wendet sie sich an die Freundin.
„Was?!“, regt die sich auf, „Du willst doch nicht allen Ernstes nach Zuyderkerk fahren und alles ist wieder gut? Hätte ich mir denken können, dass der Spinner es schafft, dich zu überreden, dass alles gar nicht so schlimm war, der hat ja immer zu allem ‘ne Ausrede parat!“
„Halt die Fresse, du blöde Kuh!“
Helena drückt mir das Schlüsselmäppchen in die Hand. „Geh schon mal runter und setz dich ins Auto, hast du gehört? Ich komm gleich nach.“
Kristien meckert los: „Bist du bescheuert, ihm meine Autoschlüssel zu geben? Stell dir vor, der fährt los! Da kann ich mein Auto ja an der Schrottpresse abholen!“
Ich höre mir das nicht länger an. Kristien sollte mich gut genug kennen um zu wissen, dass ich das Autofahren lieber Helena überlasse. Die kann das besser als ich – man muss ja nicht alles gleich gut können.(2)
Das Fahrzeug steht vorm Haus, ich finde es zum Glück sofort. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und ziehe die Tür hinter mir zu.

Ich wache in der Küche auf. Ich bin am Tisch zusammen gesunken und vor mir stehen zwei leere Bierflaschen. Draußen scheint die Sonne.
Komisch, denke ich verwirrt, ich bin doch in Alkmaar gewesen … aber was wollte ich bloß da? Oder war ich gar nicht da?
Ich gehe mal lieber zum Klo, bevor ein Unglück passiert, denn ich muss dringend pinkeln.
Als ich dort angekommen bin, fällt mir alles wieder ein, denn Helenas umfangreiche Kosmetiksammlung ist weg. Sie ist weg.
Ich kann nichts denken, es ist völlig leer in meinem Kopf.

Das schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich nicht mal verstehe, warum sie mich verlassen hat! Wenn ich mir wenigstens konkrete Vorwürfe machen könnte, zum Beispiel, dass ich zu viel Zeit mit anderen Leuten verbracht habe oder sogar mit anderen Frauen. Aber das ist alles gar nicht so!

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