5. Juni 2015

39

Was mache ich nun mit dem angefangenen Abend? Soll ich zu Tante O gehen, damit sie mir die nächste Lektion Schach erteilt? Oder ans Meer?
Nein, eigentlich wollte ich etwas machen, wo ich nicht so viel nachdenken muss oder kann. Deswegen kommen weder Schach noch Strand in Frage.
Unentschlossen fahre ich durchs abendliche Dersum und weil ein Bus neben mir an der Haltestelle stoppt, der zum Hafen fährt, steige ich ein. Abends ist es kein Problem, Fahrräder mitzuführen, nur tagsüber ist das nicht gern gesehen.
In Westerdorp angekommen stehe ich auf einmal vor dem „Copacabana“.
Na gut, denke ich mir, da wollte ich ja sowieso hin, und ein bisschen Kneipe ist besser als einen trüben Abend mit trüben Gedanken zu verbringen.

Erfreulicherweise ist die Kneipe nicht zu voll für meinen Geschmack, aber auch nicht so leer, dass mein Erscheinen auffallen würde. Ich durchquere den nahezu quadratischen Raum, der überall mit Palmen und anderem karibischem Krimskrams dekoriert ist und bestelle an der Theke ein Bier. Während es von der Frau gezapft wird, sehe ich mich um. Ist noch ein Tisch frei, oder muss ich mich irgendwo dazu gesellen? Kenne ich vielleicht jemanden der Anwesenden? Da ich keine große Lust auf Gesellschaft habe, ist es mir recht, dass gerade ein graues Pärchen seinen Platz am einen Ende des Tresens verlässt und sich zum Ausgang wendet. Die Mitte des Tresens ist bunt ausgeleuchtet, doch am Ziel meiner Wanderung durch die Kneipe ist nur ein schummeriger Rest Licht übrig geblieben.
Von meinem Platz aus habe ich freien Blick auf das riesige Aquarium, in dem verschiedene bunte Fische umher schwimmen. Die Fische gehören zur Dekoration, aber ich erinnere mich, dass meine letzten zwei Besuche vor allem ihnen galten. Ich finde die bunte Meeresbevölkerung faszinierend. Als Gott sie machte, hat er bestimmt bei jedem vollendeten Fisch gedacht, also, das kann ich noch bunter und fantasievoller machen und hat versucht, sich beim nächsten Exemplar selbst zu übertreffen.
Zu diesem Schluss komme ich stets, wenn ich die unbeschreiblich vielfältige Bewohnerschaft der Meere betrachte. Eines Tages, wenn ich es mir leisten kann, werde ich in die Karibik fahren und mir dort alles live angucken.

Beim zweiten Bier ist es schon wieder vorbei mit meiner Abgeschiedenheit. Eine Frau kommt mit ihrem Getränk auf mich zu und fragt: „Ist hier noch ein Plätzchen frei?“
Blöde Anmache, denke ich, nicke aber. Wenn sie zuviel redet, kann ich ja immer noch verschwinden, beschließe ich. Doch es vergeht eine ganze Weile, bis sie das nächste Mal was zu mir sagt. „Bist du stumm oder einfach kein Thekenquatscher?“, will sie wissen.
Ich wende meinen Blick nicht von den Fischen ab, obwohl die Stimme recht freundlich klingt. „Stumm“, sage ich und zeige mich damit von meiner gesprächigsten Seite.
Sie sagt: „Okay.“
Wieder dauert es ein bisschen, bis sie sagt: „Mann, du kannst ja ganz schön ausdauernd schweigen. Machst du das immer so?“
Ich und ausdauernd schweigen! Da sollte sie mich aber mal erleben, wenn ich richtig in Fahrt bin. Da bleibt kein Ohr trocken. „Sicher“, brumme ich.
„Warum trinkst du dein Bier dann nicht zuhause? Im allgemeinen geht man doch im Urlaub in die Kneipe, wenn es vorher am Strand nicht mit den neuen Kontakten geklappt hat. Du willst offenbar niemanden kennen lernen. Was tust du also hier?“
Ich überlege, wie es wäre, das Feld zu räumen, schließlich wollte ich meine Ruhe haben. Nur weil ich mich nicht aufraffen kann, bleibe ich, wo ich sitze.
„Alter, hol doch mal Luft zwischendrin, du bist ja schon ganz blau im Gesicht!“, lacht sie.
So langsam habe ich keine Lust mehr, muffelig zu sein. Als Ieuwk­je vorgeschlagen hatte, etwas in Gemeinschaft zu unternehmen, hatte mir der Gedanke ja eigentlich ganz gut gefallen. „Und, warum suchst du Kontakt?“, erkundige ich mich.

Keine Kommentare: