Der Typ, der mich anstarrt, hat eine amerikanischer-Soldat-Frisur (so nenne ich sie, keine Ahnung, ob es da eine Einheitsfrisur gibt oder ob nur Hollywood sowas erfunden hat), und der Bart ist bis zu einer etwa fingerbreiten Linie über den Kinnbacken zurück gestutzt.
Das hat doch nichts mir zu tun! Ich gehöre eher zur Kategorie „Naturbursche“; Gel in den Haaren und so kunstvolle Bartrasur sind nicht mein Ding. Ist das hier vielleicht ein verspäteter Versuch, mich ein bisschen modischer zu gestalten?
„Gefällt es dir?“, fragt sie.
Nein, andere Dinge sind zu besprechen. „Ieuwkje“, fange ich entschlossen an und drehe mich zu ihr um, obwohl ich sie auch im Spiegel ansehen kann, „Weißt du, was da bei Helena passiert ist?“
„Wie kommst du jetzt darauf?“
„Ist egal. Antworte bitte.“
„Nein, ich weiß nichts. Wirklich ehrlich“, beteuert sie und schaut mich offen an. „Nach unserem Telefonat neulich hab ich versucht, sie auf dem Handy zu erreichen, aber es war dauernd besetzt oder aus oder ich hatte was anderes zu tun.“
„Hat sie denn vorher mal Andeutungen gemacht?“
„Nein. Ich verstehe das auch nicht.“ Sie legt ihre Hand auf meine Schulter. „Ein gut gemeinter Rat einer Freundin deiner Ex: Vergiss sie. Guck nach vorne. Dein Leben geht weiter, auch wenn es jetzt vielleicht noch nicht so aussieht.“
So sieht es tatsächlich noch nicht aus. Aber ihr „Vergiss sie“ gefällt mir. Das klingt danach, dass sie mich nicht nur als Zubehör ihrer alten Schulfreundin sieht.
Als wir uns wenig später das nächste Mal in der Pension treffen, frage ich Ieuwkje, was sie heute Abend macht. Vergessen und nach vorne gucken geht leichter, wenn man nicht die ganze Zeit nur sich selbst und die eigenen Gedanken als Gesellschaft hat.
„Ich bin mit ein paar Freunden verabredet. Im Kino soll ein guter Film laufen, und danach wollten wir noch rüber nach Westerdorp ins „Copacabana“. Das ist in der alten Abfertigungshalle am Fährenpier“, liefert sie die Ortsbeschreibung gleich mit, weil sie weiß, dass ich mir Namen (20) nicht gut merken kann.
Das klingt an sich gut, aber dann fällt mir ein: „Du, sag mal, was deine Freunde betrifft … sind da auch ein paar Kerls bei oder seid ihr nur Mädels?“
„Keine Sorge, du Kerl! Marc kommt, Boje hat noch nicht zugesagt, aber auch nicht abgesagt, und dass Anno freiwillig einen Abend daheim bleibt, hab ich noch nicht erlebt.“
„Also ist er ungefähr wie du.“
„Na komm – ich hab’ morgen frei. Das muss ich nutzen!“
„Ich habe aber nichts zum Ausgehen dabei“, fällt mir ein.
„Willst du mir die Schau stehlen? Lass mal, du bist schön genug.“
Die meisten von Ieuwkjes Clique kenne ich von früheren Besuchen auf der Insel. Helena hat sich dem Freundeskreis der alten Schulfreundin angeschlossen, als wäre es ihrer. Sie hatte nie Probleme damit, wildfremde Leute anzuquatschen. Meistens habe ich dann wie ein schüchterner Schatten an ihr geklebt, um den Anschluss nicht zu verlieren und nicht gewusst, was ich sagen oder tun sollte. Wenn solche Bekanntschaften sich an mich erinnern, dann hauptsächlich nur als „Helenas Anhang“.
In den ersten Minuten habe ich damit zu tun, den bereits vor dem Kino Wartenden zu erklären, dass ich nicht mehr Helenas Anhang bin. Als im Kino gerade die Werbung angefangen hat, kommen noch vier junge Frauen dazu. Sie stolpern über meine langen Beine, die ich gemütlich von mir gestreckt habe und ich muss die ganze Leier von vorne erzählen. Eine dieser Nachzüglerinnen findet mein Schicksal sehr interessant; sie vertraut mir an, dass es ihr vor ein paar Monaten ebenso ergangen ist und will jedes Detail wissen.
Ich freue mich schon darauf, dass der Film bald anfängt und ich nicht mehr dauernd an Helena denken muss. Als der Film dann tatsächlich begonnen hat, bin ich nicht mehr so sicher, ob ich mich wirklich freuen soll. Es ist ein typischer Schnulzenfilm und von Klischees überladen (hässliche Leute sind schlecht, die Guten sehen aus wie aus dem Ei gepellt). Und außerdem habe ich ihn schon einmal gesehen. Mit Helena.
Über Annos Popcorneimer hinweg beuge ich mich zu Ieuwkje hin und raune ihr zu, dass es mir leid tut, aber dass ich doch keinen Bock auf einen gemeinsamen Abend habe. Ich winde mich aus der voll besetzten Reihe und verlasse den dunklen Kinosaal.
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