Wie konnte sie nur?, frage ich mich verzweifelt. Und wie konnte ich nur hierher fahren? Ich hätte doch wissen müssen, dass die Insel mich an Helena erinnern würde?
Warum bin ich nicht zuhause geblieben oder in Grietjes Lieblings-Eifeldorf gefahren?
Gegen Morgen, als ich nicht mehr einschlafen will, kommt mir ganz automatisch eine bittere Klage aus dem Hirn gekrochen. Warum, Gott? Warum hast du mir das angetan?
Eigentlich ist es ungerecht, denn Gott hat damit nun wirklich nichts zu tun. Er wäre der letzte, der Helena gesagt hätte, dass sie mich verlassen soll. Er liebt mich, deswegen wird er mich nicht unglücklich machen. Logo. Aber in diesen Stunden bin ich nicht logisch. Beinahe alles tut mir weh, weil ich so fertig bin.
Aber mein Gott beweist, dass er ein großes Herz für kleine Gemüter wie mich hat. Er vergibt mir die Anklage und zeigt mir außerdem, dass er wirklich da ist.
Erinnerst du dich, fragt er, wie du dich nach der ersten heißen Nacht mit Helena nicht getraut hast, mir in die Augen zu sehen?
Natürlich erinnere ich mich, antworte ich. Wie könnte ich das vergessen! Eine halbe Woche lang bin ich wie damals Adam durch Gottes schöne Natur geschlichen und habe versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. Und mein Gott hat mich immerzu gerufen, „Mein geliebtes Kind, wo bist du denn?“ Selbstverständlich hat er gewusst, wo ich mich herumdrückte, aber er hat mir die Chance lassen wollen, selber zu ihm zu kommen. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe mich gezeigt.
Du hast gesagt, dass dir ein schrecklicher und unverzeihlicher Fehler passiert ist. Erinnerst du dich auch noch, was ich gesagt habe, fragt Gott.
Ja, sage ich und zitiere: „Unverzeihlich ist nur, was du selber nicht verzeihen kannst. Ich verzeihe dir. Ich verzeihe dir, weil ich dich liebe, und das werde ich nie aufhören, mein Sohn.“ Ein paar Atemzüge ist es still in meinem Herz. Wer lieben kann, kann auch verzeihen. Wer verzeihen kann, kann eines Tages wieder lieben. Darum dreht sich mal wieder alles. Schließlich frage ich: Kannst du mir zeigen, wie ich Helena verzeihen kann? Dafür musst du mich im Gegenzug heilmachen. Ich kann so zerrissen nicht leben, das steh ich nicht durch.
Natürlich mache ich dich heil, mein Kind, ich habe schon damit angefangen. Hab nur Geduld, und das mit Helena kriegen wir schon gemeinsam hin.
Als ich dann doch einschlafe, schlafe ich gut.
dreizehntes Kapitel
Samstag und Sonntag verbringe ich fast ausschließlich mit Nichtstun. Nebenher blicke ich müde aufs blaugrüngraue Meer hinaus, gehe Liebespaaren aus dem Weg und versuche, Helena zu vergessen oder zumindest nicht dauernd an sie zu denken. Ich bin unterschiedlich erfolgreich, bis auf die letzten zwei Übungen klappt alles irgendwie.
Am späten Sonntagnachmittag werde ich auf dem Radweg zwischen Westerdorp und Dersum von Ieuwkje eingeholt, die vermutlich gerade Feierabend hat. Sie bremst ab, um neben mir zu fahren.
Auf einmal legt sie mir den Arm um die Schultern.
„Lass das“, wehre ich die Nähe ab.
„Ich dachte, es täte dir gut.“ Weil ich nichts sage, redet sie weiter: „Darf ich dir gleich eine neue Frisur verpassen?“
„Nee.“
Wir kriegen nun Gegenverkehr und Ieuwkje lässt mich voraus fahren. Nachdem der eilige Radfahrer im papageienbunten Dress vorbei gezischt ist, schließt sie wieder zu mir auf. „Bitte, Jeremy. Du fühlst dich wahrscheinlich furchtbar, aber es muss nicht sein, dass du auch so aussiehst.“
Schließlich muffele ich: „Wenns sein muss.“
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