4. Juni 2015

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Weil mir die Nacht fehlt, verziehe ich mich nach dem umfangreichen Frühstück in mein Zimmer, haue mich aufs Bett und schlafe ziemlich bald danach ein.
Allerdings nicht für lange; als gegen elf die Müllabfuhr durch die Straße poltert, wache ich auf und kann nicht wieder einschlafen. Also stehe ich auf und gehe – ja, wohin geht man, wenn man auf einer Insel wie Dersummeroog ist und am liebsten keinen sehen will?
Am Strand angekommen würde ich mich am liebsten hinsetzen und heulen. Heute früh habe ich mir noch guten Mutes eingeredet, fertig zu sein mit Helena.
Ha! Fertig bin hauptsächlich ich!
Ich bin noch lange nicht fertig mit ihr. Noch immer fehlt sie mir bei fast jedem Atemzug. Ich fühle mich unvollständig, einfach nicht komplett. Egal, wo ich auf dieser wunderschö­nen Insel bin, jeder Fleck erinnert mich an sie. Und an glückliche Tage mit ihr zusammen.
An der Fischbude am großen Parkplatz gleich hinter den Dünen haben wir zusammen Kibbeling gegessen. Sie hat wie immer Paprikasoße genommen und ich Remoulade. Nach dem Essen durfte ich sie nicht küssen, weil da Knoblauch drin ist. Hab ich aber doch gemacht.
Auf der Promenade von Dersum aan Zee haben wir mal mehr als eine Stunde bei wechselndem Wetter gesessen und uns über andere Leute belustigt. Ein paar Touristen waren mit ihren Schirmen unterwegs, bis der Wind darunter fauchte und sie nur noch einen Krückstock mit verknickten Metallstreben und Tuch hatten. (Es müssen Touristen gewesen sein, denn keiner, der länger auf der Insel ist, geht mit einem Schirm nach draußen. Es kostet einfach zu viel, sich nach jedem Windstoß einen neuen kaufen zu müssen.)

Anscheinend haben sich alle Erinnerungen an schöne zweisame Tage gegen mich verschworen, denn jetzt fällt mir unsere erste gemeinsame Strandfete wieder ein. Wir wohnten noch nicht in der Pension „Kijkdoos“ und hatten unser Zeltchen auf einem Campingplatz aufgeschlagen. Nachts gab es ein kräftiges Gewitter und wir waren der Naturgewalt beinahe schutzlos ausgeliefert. An Weiterschlafen war nicht zu denken, da haben wir uns geliebt, bis dem Unwetter die Luft ausgegangen ist. Nie zuvor und auch niemals nachher habe ich eine so heiße Nacht im Zelt verbracht.
Manchmal habe ich die Kaap Hoorn im Watt südlich der Insel im Schlick auflaufen lassen, um unsere Zweisamkeit ungestört und hemmungslos genießen zu können. Die sechs Stunden zwischen den Tiden sind mir da nie besonders lang vorgekommen.
Noch hundert andere Gelegenheiten für leidenschaftliche Begegnungen fallen mir ein.
Hier auf der Insel habe ich das erste Mal Sex mit Helena gehabt – mein erstes Mal. Ieuwkje hatte zu Anfang des Sommers zu einer privaten Party eingeladen, bei der ich in einigermaßen betrunkenem Zustand mit Helena getanzt habe. (19) Und dann ist es mir passiert. Ich bin der Droge damals sofort mit Haut und Haar verfallen. Mir ist es nie langweilig geworden mit Helena.
Und warum denke ich Idiot ausgerechnet jetzt daran, wo ich nie wieder diese wunderbare Gemeinschaft mit ihr genießen werde und mir ein kalter Entzug bevorsteht? Ist mein Leben nicht schon trostlos genug, muss ich es mir noch schwerer machen?

Nachmittags bin ich wieder müde gewesen und wollte ein halbes Stündchen pennen und als ich wieder aufwachte, war es schon halb sieben. Am frühen Abend ging es mir dann recht gut (den Umständen entsprechend, sagt man da wohl), aber auch das ist schon wieder vorbei. Jetzt ist nämlich Nacht und ich schlafe sehr schlecht. Kaum dass ich eingeschlafen bin, fasse ich nach links oder rechts neben mir, und wache davon auf, dass ich dort nur die Bettkante vorfinde.

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