Aber bloß weil ich nicht so edel wie der Rest der Kundschaft aussehe, ist das doch noch lange kein Grund, mich mehr genervt als höflich aus dem Haus zu kegeln. Die Leute sollten mehr an ihre zukünftigen Gäste denken. Aber jetzt bin ich kein zukünftiger Gast mehr, selbst wenn ich es je hätte werden können. Jetzt, so beschließe ich, bleibe ich Pensions- oder Kajütenbewohner. Ätsch.
Ich wende mich ab, schüttle symbolisch den Staub bzw. Sand von meinen Füßen und mache mich auf den Weg zum Strand.
elftes Kapitel
Der Strand ist nicht nur die Grenze zwischen Wasser und Land, sondern auch ein Ort der Wahrheit. Oft habe ich dort das Gefühl, die Dinge klarer als sonst zu sehen. Wenn ich dann zusätzlich in gedrückter Stimmung bin, ist die Welt auf einmal wirklich so schlecht, wie ich es am liebsten gar nicht wahrhaben will.
Das heißt: Helena wird unter keinen Umständen dazu zu bewegen sein, ihren Entschluss rückgängig zu machen. Nicht auf dieser Seite der Ewigkeit und nicht auf der anderen.
Wohlwollend könnte man eine ihrer herausragenden Eigenschaften „Willensstärke“ nennen, jedenfalls ist es noch nie leicht gewesen, Helena in etwas herein zu reden, bei dem sie anderer Auffassung ist. Man könnte auch sagen, dass sie stur und verbissen ist. Wenn sie nun davon überzeugt ist, mit mir Schluss zu machen sei die einzige Möglichkeit, ihre nähere Zukunft zu gestalten, dann werden sie weder Feuersbrunst, Hochwasser noch andere Naturkatastrophen davon abbringen können, und ein jammernder Ex erst recht nicht.
Erstaunlicherweise haut mich diese Erkenntnis nicht um. Zuhause wäre das etwas anders verlaufen, diese Gewissheit hätte mich in ein weiteres tiefes und ebenso schwarzes Loch gestoßen. Aber wahrscheinlich hat Dersummeroogs Hochseeklima schon längst begonnen, seine heilende Wirkung zu entfalten.
Wenn ich will, dass dieser spontane Sonderurlaub seinen Zweck erfüllt und ich „geheilt“ zurückkehre, muss ich mich mit Helenas Entschluss abfinden – je eher, desto besser.
Trotzdem muss ich noch herausfinden, warum sie das getan hat. Vorher werde ich keinen Frieden mit dieser Sache machen können. Bei nächster Gelegenheit, so nehme ich mir vor, werde ich mir Ieuwkje vorknöpfen und sie zu möglichen Gründen befragen. Sie und Helena sind vielleicht nicht die allerbesten Freundinnen, aber ich gehe mal davon aus, dass sie sich darüber unterhalten haben; Ieuwkje wollte sicher aus erster Hand wissen, warum Helena nicht mehr mit mir zusammen auf die Insel kommen wird.
Was hat uns beide auseinander gebracht? Sonst hätte der dicke Vince (oder ein beliebiger anderer Mann) keine Chance gehabt, sich zwischen Helena und mich zu drängen.
Haben wir uns vielleicht mit der Zeit so voneinander entfernt, dass es einfach nicht mehr mit uns funktioniert hat? Aber was könnten die Gründe dafür gewesen sein? – Ach, das ist einfach. Gleich als erstem Punkt fällt mir ein, dass Helena immer mal wieder bemängelt hat, ich würde mich wie meine Driehoeken benehmen. Kindisch und unreif demnach; nicht zurechnungsfähig.
Und dass ich dauernd meinte, ich müsse drastisch werden und übertreiben.
Oder dass ich mir gefälligst mal ein neues Fahrrad kaufen solle.
Und dass ich immer die gleichen Sachen anziehe, hat sie besonders genervt. „Kannst du nicht mal was anderes anziehen als ewig Jeans, Turnschuhe und deine blöden karierten Hemden?!“ Ich höre diese Klagerede, als würde sie genau jetzt neben mir stehen, so oft hat sie das gesagt.
Wenn ich dann mal keine Karohemden getragen habe, hat sie sich lang und breit über meine Vorliebe zu orange und grün aufgeregt. Dabei hätte sie lieber froh sein sollen, dass ich nicht wie alle anderen Jungs nur blau mag.
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