4. Juni 2015

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Beim Blick in seine plötzlich wieder begehbare Küche hat Ferdinand versucht, mich bei Tante O für meinen nächsten Urlaub abzuwerben. Wir werden uns schon verstehen, hat er gesagt, auch wenn du keine Frau bist. Ein hübsches Mädchen wäre mir zwar lieber, aber man kann nicht alles haben.
Beim gemeinsamen Rückweg hat Tante O mir verraten, dass Ferdinand manchmal ein bisschen sonderbar ist, das läge daran, dass er nie geheiratet habe und daher auch in jungen Jahren keine Frau die Möglichkeit gehabt habe, seinen stachligen Charakter zu glätten.
Au weia. Vertritt Tante O etwa auch die Ansicht, dass nur Frauen es fertig bringen, aus einem Mann etwas Brauchbares zu formen? Trotzdem bin ich ihr dankbar, dass sie mich nicht mit Ieuwkje oder irgendwem sonst verkuppelt.

Bald darauf fahre ich nach Westerdorp.
Das Dorf (die Dersummerooger nennen es großspurig Stadt) ist ebenso groß wie Dersum, der Hauptort der Insel (16), aber wesentlich älter als das ansehnliche Dersum. Doch in seiner wechselvollen Geschichte ist es oft zerstört worden. Im Mittelalter musste die Insel wegen ihrer geografischen Lage unter territorialen Streitigkeiten zwischen Holländern und Friesen leiden, und die ließen ihren Unmut oder Übermut an Westerdorp aus, was damals noch der einzige größere Ort war. Später schlossen sich im 16. und 17. Jahrhundert vier Kriege zwischen Holland und England an. Alles in allem hat das dazu geführt, dass die Insulaner den unseligen Flecken nur mehr als Lagerplatz am Hafen nutzten. Das wiederum führte jedoch dazu, dass sich die Industrie der Insel auch dort befand, was im letzten Weltkrieg ein willkommener Anlass war, die Siedlung endlich noch mal zu Klump zu schießen.
Erst der wiederaufblühende Tourismus nach dem Krieg konnte das Mauerblümchen­dasein Westerdorps beenden, denn auf einmal war in Dersum zu wenig Platz für neue Hotels, Restaurants und andere Möglichkeiten, sein Urlaubsgeld auszugeben. Seitdem steht in West, wie es auch genannt wird, das Hotel „Neptun“ und belebt mit seiner Konkurrenz die Geschäfte des „Kon. Emma“.

Vor ein paar Jahren bin ich zuletzt in der Empfangshalle des „Neptun“ gewesen, als Helena und ich Ieuwkje zum Feierabend abholen wollten. Seitdem hat sich eine Menge getan, wie ich staunend feststellen kann.
Früher verbreitete weißer Marmor, den der vorige Besitzer einbauen ließ, weil es gerade modern war, eine eher sterile Atmosphäre. Heute finde ich rötliches, dunkles Holz, Messingbeschläge und dicke Taue. An den Wänden sind Bullaugen, durch die man auf Bilder mit stürmischer See, Leuchttürmen und ähnlichen Motiven schaut. Außerdem entdecke ich unter einem Glaskasten eine etwa einen halben Meter lange Miniatur eines eleganten Zweimasters.
Es geht allerdings wenig gemütlich zu in dieser Hotelhalle. Erst stehe ich einer schwer bepackten jungen Frau im Weg, dann rempeln zwei Kinder gegen mich, die auf der Flucht vor ihren Eltern sind. Zum Schluss werde ich von einer Frau in „Neptun-Tracht“ sozusagen rausgeschmissen, als sie mich fragt, ob ich hier wohne oder einchecken will und ich das verneine.
Gut, ich passe schon rein von den Klamotten her nicht ins Ambiente. Das ist nämlich chic, und ich bin es nicht. Ich bin nie chic. Feine Anzüge und Schlipse und schwarze Halbschuhe und weiße Hemden wird man nie in meinem Kleiderschrank finden, ich hasse sie. (17) Statt dessen bin ich barfuß, mit abgeschnittenen Jeans und meinem orangekarierten Lieblings-T-Shirt unterwegs.

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