4. Juni 2015

28

Hoffentlich kommt jetzt keiner, das wäre mir peinlich. (14) Ich setze Teewasser auf und gehe wieder nach oben, um mich anzuziehen.

Als die Sonne hinter der faserigen Wolkenschicht aufgeht, bin ich schon am Strand unterwegs. Bis auf einen einsamen Jogger mit Hund, die sich weit entfernt ihrer Fitness widmen, bin ich der einzige Bekloppte, der im Urlaub so früh aufsteht. Ich gehe vor bis an die Waterkant und riskiere nasse Schuhe, weil ich ausprobieren will, was wahr ist an der Redensart „jede siebte Welle trifft“. An der Tatsache, dass mich auch schon die vierte erreicht, merke ich, dass die Flut eingesetzt hat.
Mit Helena hätte ich so einen Unsinn nie machen können, fällt mir ein. Sie ist stets die Erwachsenere von uns beiden gewesen, auch wenn ich zwei Jahre älter bin. Sie hat mich mal den „größten Fünfjährigen der Welt“ genannt. Ich habe geglaubt, dass sie einen Scherz macht. Aber sie muss es ernst gemeint haben, denn sie hat nicht mitgelacht.
Ich hätte nicht an sie denken sollen, denn sofort ist der Strand nicht mehr so wunderbar. Um mich vom Kummer abzulenken und mir die schönen Seiten des Singledaseins aufzuzeigen, renne ich ein paar Meter Richtung Dünen, ziehe mich dort aus und stürze mich dann in die Wogen.
Ist das kalt!!

Natürlich habe ich kein Handtuch dabei, also muss ich mich warm laufen, als ich aus dem Wasser komme. Weil die Brotscheibe als Frühstück nicht lange ausreicht, zieht es mich bald nach meinem Schwimmausflug an Tante Os Küchentisch.
Dort sitzen nur Tante O und ihre Nichte; die beiden Handarbeitsfreundinnen schlafen noch, denn es steht kein Geschirr für sie auf dem Tisch. Das ist sonst ein sicheres Merkmal dafür, dass jemand bald zum Frühstück erscheinen wird. Die erfahrene Pensionswirtin hat nahezu alle Gepflogenheiten ihrer Gäste im Kopf.
Mit meinen Macken ist das nicht so einfach, denn ich habe viele, aber ich erwarte auch keine perfekte Rundumversorgung. Während Tante O aufsteht und mir ein Frühstücksser­vice samt Besteck holt, starrt Ieuwkje mich an, als käme ich vom Mond statt vom Strand. „Wo kommst du denn so früh her? Bist du zu Mitternacht zuhause losgefahren? Ich dachte, du segelst im Dunkeln nicht?“
Ich lasse mich neben ihr am Tisch nieder. „Tu ich auch nicht, ich bin gestern Nachmittag los. Ich war gerade bloß am Wasser“, erkläre ich und werde von Tante O korrigiert: „Er war im Wasser. Das riecht man doch.“
Ieuwkje nimmt meine Hand, mit der ich gerade nach der Teekanne greifen will und schnuppert daran. „Stimmt. Hast du Urlaub? Ziemlich kurzfristig, was? Oder ist dir gestern so danach gewesen, mich zu überraschen?“
„Ja“, sage ich zusammenfassend, bekomme meinen Tee von Tante O und lange kräftig zu. Wie gut ein Frühstück schmecken kann, wenn man vorher die Flut getestet hat, ohne angekündigt zu bekommen, die nächste Nacht auf dem Fußboden zu verbringen!
Während des Rückweges habe ich nämlich beschlossen, dass ich mein unerwartetes Singledasein ab jetzt als pures Glück aufzufassen. Vom Naturell her bin ich Optimist, und mir ist klar geworden, dass ich diese Krise nur mittels meiner positiven Lebenseinstellung bewältigen kann. Ich fürchte zwar, dass das zuerst darauf hinausläuft, dass ich mich um so mehr meinen Spinnereien hingeben werde, aber diese Phase wird auch schon noch wieder vergehen. Da bin ich sozusagen zwangsweise guter Dinge.

Keine Kommentare: