4. Juni 2015

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Am Breezanddijk, der das IJsselmeer von der Nordsee trennt, muss ich eine Weile vor der Lorentzsluis warten. Leute, die beruflich mit ihrem Schiff unterwegs sind, haben Vorfahrt vor den Freizeitkapitänen. Aber da ich nicht verabredet bin und niemand ungeduldig auf meine Ankunft wartet, macht mir das nichts aus.

Das alles gehört für mich zum „Inseln“ dazu: im Westerdorper Yachthafen ankommen und vielleicht ein bisschen über das Hafengelände schlendern, um zu sehen, wer schon alles da ist. Dann sich mit dem Fahrrad bzw. dem Bus in Richtung Dersum aufmachen oder von jemandem, der einen von den vorigen Besuchen erkennt, in den Hauptort der Insel mitgenommen werden. Und dann vor dem heimeligen einstöckigen Backsteinbau im Oude Kerkspad stehen, in den von Tante O sorgfältig gepflegten Vorgarten gehen, die Klinke herunter drücken, herein gehen. Man kann auch ums Häuschen herum gehen (11) und durch die Hintertür an der Terrasse direkt in die Küche kommen. Wenn keiner da ist, hängt manchmal am Kühlschrank ein Zettel, wo die Abwesenden zu finden sind.
Entweder setzt man sich dann auf die Eckbank in der Küche, macht sich einen Tee und wartet ab, bis einer kommt, liest Zeitung oder schaut aus dem Fenster, oder man wendet sich wohin die Zettel einen weisen, und überrascht die Leute dort.

Die Sonne geht gerade mit einem üppigen Farbenspiel unter, als ich meinen Zielhafen erreiche. Meine Reisegeschwindigkeit hat zum Schluss etwas abgenommen, weil der Wind abgeflaut ist.
Während meiner suchenden Rundfahrt durch den Jachthafen stelle ich fest, dass dort fast keine Liegeplätze mehr frei sind. Typisch Hauptsaison.
Man darf zwischen Mai und September nur drei Tage im Inselhafen festmachen, damit die Liegeplätze nicht von „Hafensitzern“ besetzt werden und die anderen keinen Platz mehr haben. Aber ich habe ja zum Glück Beziehungen. Tante O kennt den Hafenmeister sehr gut und ich nehme an, sie lässt ihm Pflaumenkuchen oder andere Köstlichkeiten aus ihrer Küche zukommen, jedenfalls darf die Kaap Hoorn länger als drei Tage im Hafen liegen.
Ich werfe meine Tasche auf den Steg, hebe das Fahrrad hinterher und lehne es an einen Poller. Dann mache ich den obligatorischen Rundgang übers Schiff, prüfe nach, ob alle Luken der Kajüte zu sind und alles ordnungsgemäß ist. Da es so ist, fahre ich los.
Nach den ersten paar hundert Metern muss ich feststellen, dass der Hinterreifen platt ist.
Der Verursacher des Schadens ist ein verbogener Angelhaken. Ich kann ihn herausziehen, ohne noch weitere Schäden anzurichten (zum Beispiel an mir selbst), aber für Schlauch und Reifen ist es das natürlich gewesen.
Schiebend gelange ich zur nächsten Bushaltestelle. Keine fünf Minuten später hält ein dunkelgrüner Kastenwagen an dem Häuschen und die Fensterscheibe der Beifahrerseite fährt automatisch herunter. Ein Mann dehnt „Moin“, und ohne seine Pfeife aus dem Mund zu nehmen, fragt er: „Wo soll’s denn hingehen?“
Ich erwidere den praktischen Ganztagsgruß und antworte, dass ich nach Dersum möchte, da sagt der Mann auch schon: „Komm, steig ein.“
Fahrrad und Gepäck verfrachte ich hinten auf die fast leere Ladefläche, dann nehme ich Platz neben dem Mann, der so um die fünfzig ist.
„Du bist öfter hier, stimmt’s?“, fragt er und lässt mir keine Zeit für eine Antwort. „Ich hab dich schon mal gesehen. Da hast du bei der Frau Sierksma gewohnt. Die hat ihre Pension aufgegeben, oder?“
Erstaunlich, dass er mich wiedererkennt, denke ich verwundert. Entweder hat der Mann ein extrem gutes Personengedächtnis – oder es ist ein Zufallstreffer. Ich habe mich ja seit meinem letzten Inselaufenthalt ziemlich verändert. „Nein, das ist nicht richtig. In der Hauptsaison hat sie nur noch wenige Gäste, aber außerhalb der Saison kommen nach wie vor ihre Stammgäste“, gebe ich ausführlich Auskunft, um die Gerüchte zu zerstreuen.

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