4. Juni 2015

21

Wir haben ja nicht nur die schulpflichtigen Kinder bei uns, sondern auch die unter fünf. Ich weiß nicht, nach wessen Lustprinzip die zuständigen Eltern vorgehen (ob sie Lust haben, die Kinder loszuwerden oder ob die Kinder Lust haben, die den Vormittag ohne ihre Eltern zu verbringen), jedenfalls sind meist nur so zwei Drittel der kleinen Kinder da. Wenn alle kommen, merkt man sofort, dass mehr Krach im Gruppenraum herrscht. Man kann sich schlechter mit einzelnen Kindern befassen, weil es zu unruhig ist. Das alles macht mehr Stress und führt unter ungünstigen Bedingungen zu schlechter Laune.
Ich befinde mich zur Zeit in sehr ungünstigen Bedingungen, meine Stimmung sinkt also merklich. Ich gebe mir Mühe, es keinen spüren zu lassen, schließlich sind meine Katastrophen Privatsache und gehen niemanden etwas an.
Aber meine Privatsache hat sich ziemlich schnell herumgesprochen.
Schon während der vergangenen Woche haben mich einige der Kollegen von der Seite beobachtet und wohl geglaubt, dass ich es nicht mitbekomme. Glauben die, dass ich eine ansteckende Krankheit habe? Dabei bin ich einfach nur betrogen und verlassen worden, das ist nicht übertragbar, andere Beziehungen sind durch meine Anwesenheit nicht gefährdet.
Einige der Kinder gehen mir dagegen ganz offen aus dem Weg. Das tun sie sicher nicht aus den Gründen der Erwachsenen. Ich glaube, dass sie sich eher vor mir fürchten. Ich reiße mich zwar zusammen, damit nicht jeder meine miese Stimmung mitbekommt, aber ich glaube, das hilft nicht viel. Ich schlafe jede Nacht mies und mein einziger Vorteil dürfte die Tatsache sein, dass ich mich morgens nie an meine Träume erinnern kann.

Am Mittwoch kurz vor Feierabend kommt Grietje zu den Rechthoeken herein, wo heute das gemeinschaftliche Nachmittagsprogramm gelaufen ist. „Ich muss mit dir reden“, sagt sie.
Auf dem Sofa sitzt Nebahat. Sie hat schon seit zehn Minuten Schluss und wartet darauf, dass ihr Freund sie abholen kommt. Sie liest eine bunte Jugendzeitung und trinkt dabei Saft aus einem Strohhalmpäckchen. Beim Trinken gibt es komische Geräusche aus dem Päckchen.
„Komm mit.“ Im Büro hören wir Andjo telefonieren und im Aufenthaltsraum läuft Musik, also wenden wir uns zu den Gruppenräumen. Bei unseren Driehoeken hat irgendein fleißiger Mensch schon die Stühle auf die Tische gestellt, damit die Putzfrau später unbeschwert wirken kann. Daher weichen wir in den Raum der Cirkelen aus.
Wir lassen uns neben dem hüfthoch gemauerten Raumteiler nieder, auf dem das Aquarium steht. Aus ästhetischer Sicht machen die kleinen bunten Fischlein mehr her, aber die Kinder mögen die Meerschweinchen lieber, denn die kann man anfassen und streicheln.
Ich kann mir denken, worum es Grietje geht und stelle mich schon mal darauf ein, dass ich mich entschuldigen muss und versprechen, mich besser zu beherrschen. Es überrascht mich daher, dass sie fragt: „Wäre es nicht angebracht, wenn du ein paar Tage frei nimmst, um dich von der Trennung zu erholen?“
Sie wartet keine Antwort ab, mir wäre eh' nichts eingefallen. „Andjo und ich haben mit den anderen hier aus den unteren Gruppen gesprochen. Wir dachten, vielleicht fällt das nur uns auf, weil wir vom Ende deiner Beziehung wissen. Aber die haben auch bemerkt, dass du völlig fertig bist. Genauer gesagt, man muss schon blind sein, um es nicht zu sehen.“
„Und, was soll ich machen? Wir sind mitten im Schuljahr! Wie soll ich da ein paar Tage frei nehmen?!“
„Jeremy, bitte. Schrei nicht gleich rum. Stell dir vor, wir haben selbst daran gedacht. Wir haben Wouter gefragt. Bei Familienangelegenheiten kann man bis zu fünf Tage unbezahlten Urlaub bekommen und das haben wir auch für dich durchsetzen–“
„Was fällt euch ein, bloß weil meine Tussi abgehauen ist, gleich so–“
Sie haut auf den Tisch.
Das ist ihr letztes Mittel. Ich reiße mich zusammen.

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