4. Juni 2015

19

Nachts liege ich endlos lange auf der Matratze rum und wälze mich hin und her und kann nicht einschlafen, obwohl ich todmüde bin.
Das Fragenkarussell in meinem Kopf dreht sich in unverminderter Geschwindigkeit.
Warum hat sie mich jetzt verlassen und nicht schon vor drei Monaten, als sie was mit diesem Vince angefangen hat? Warum musste es überhaupt dazu kommen, dass sie einen anderen hat? Haben wir vielleicht zuviel gestritten? Hätte ich öfter nachgeben sollen, statt mich stur durchzusetzen? Und warum um alles in der Welt hat sie mich nicht vorgewarnt?
Warum hat sie mich dermaßen ins kalte Wasser geschmissen?
Und warum, verdammte Scheiße, muss es so ein ekliger Fettsack sein?!? Wenn es ja noch ein gutaussehender Typ wäre, bei dem ich mich damit abfinden könnte, dass er mir überlegen ist! Ich habe nichts gegen dicke Menschen. Ich kenne einige, die wirklich nett sind. Der Umfang eines Menschen sagt nun mal nichts über seinen Charakter aus. Aber dieser Typ ist nicht dick, sondern widerlich! Und genau das ist es auch, was ich nicht verstehe: Warum hat meine schicke Ex auf einmal so einen Geschmacksabsturz?
Soll ich mich bemitleiden – oder besser sie?
Ich möchte mich an sie schmiegen und spüren, wie sie meinen Ellbogen und Knien ausweicht. Das ist sonst immer so gewesen. Helena hat sich trotz ihrer Vorliebe für die so genannten Naturschlanken oft beschwert, dass ich überall bloß so spitze Kanten habe und dass man sich angeblich nicht an mich kuscheln könne, ohne blaue Flecke zu bekommen.
Oder ich möchte mitten in der Nacht einen Stoß in den Rücken bekommen, weil ich ihre Bettdecke weggezogen habe (weil meine zum Beispiel auf den Boden gefallen ist).
Am allerliebsten hätte ich es aber, wenn sie mich morgen früh auslacht, weil ich wieder an einen komischen Ort geschlafwandelt bin (9) oder mich den ganzen Tag damit aufzieht, dass ich im Schlaf seltsames Zeug geredet habe.

Weil ich mir das mit dem vielen Bier wieder abgewöhnen will, denn es ist ungesund, weiß ich abends nichts mit mir anzufangen und gehe früh ins Bett. Als ich nach endlosem Hin- und Herdrehen inklusive hunderter Selbstvorwürfe endlich eingedämmert bin, klingelt das Telefon.
Das hat mir gerade noch gefehlt. Ungefähr zu jeder dritten Monatsabrechnung nehme ich mir vor, das Teil einfach abzumelden, denn es nervt mich. Ich kenne nicht so viele Leute, mit denen ich quatschen müsste, ohne sie treffen zu können. Warum sich manche Leute zusätzlich auch noch ein Handy anschaffen, werde ich nie begreifen.
Ich hebe also meine müden Füße von der Matratze und sprinte in den Flur. Es ist eine unbekannte Nummer. „Ja“, sage ich. Das sage ich immer nur, weil die Leute ja wissen, dass sie bei mir anrufen.
„Hoi Jeremy, hier ist Ieuwkje. Tut mir Leid, dass ich so spät noch störe. Kann ich bitte mit Helena sprechen?“
„Nee, tut mir auch Leid. Die ist nicht da. Versuch’s auf dem Handy“, sage ich und will schon wieder auflegen, als ihr einfällt: „Ach, ich kann das ja auch mit dir klarmachen. Tante O will wissen, ob sie am kommenden Wochenende mit euch rechnen kann.“
„Nee“, sage ich knapp.
Offenbar hat sie keine so deutliche Absage erwartet. Einen Moment lang ist es still, dann erkundigt sie sich: „Und warum, wenn ich fragen darf?“
„Weiß nicht. Frag Helena. Das heißt, vielleicht will sie ja kommen“, rede ich um den heißen Brei herum.
„Und jetzt mal Klartext: was ist bei euch los? Habt ihr Streit?“
„Nein.“ So einfach ist es diesmal nicht, denke ich. Helena und ich haben nicht oft gestritten, aber wenn, dann richtig. Zwar bin ich ein friedlicher Typ und verzeihe viel (deswegen haben wir wenig gestritten), doch leider müssen wir beide immer das letzte Wort haben. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, einen Streit aufzuhören.

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