Mein Schiff heißt Kaap Hoorn und liegt am Visserdijk. Es ist eine mittelgroße Lemmeraak, gerade groß genug für eine Kajüte; dabei klein genug, um sie alleine zu segeln. Seit vielen Jahrzehnten ist es in Besitz meiner Familie und ich glaube nicht, dass es überhaupt einmal gemäß seiner Bestimmung als Frachtkahn in Betrieb war. Ich habe es von meinem Großvater geerbt, der vor etwas mehr als zwei Jahren gestorben ist.
Als ich ankomme, ist es ungewöhnlich ruhig, normalerweise ist an so schönen und sonnig warmen Dienstagen wie heute mehr am Steg los. Hier sind ja an die zwölf Schiffe festgemacht. Aber vielleicht ist es auch einfach noch zu früh, es ist erst kurz nach Mittag.
Schließlich fange ich doch an zu denken. Wohin soll ich ohne Helena schippern? Wir sind in fast ganz Nordholland unterwegs gewesen, jeder Kanal, jedes Städtchen wird mich an sie erinnern. Und erst recht Dersummeroog! Nein, da werde ich so bald nicht wieder aufkreuzen. Ieuwkje ist schließlich Helenas Freundin, alleine kann ich da nicht hin. Und überhaupt, wahrscheinlich laufe ich da dann prompt Helena in die Arme und womöglich auch Vince. Das muss ich mir echt nicht antun.
Warum hat sie mich nicht gewarnt? Und warum musste es ausgerechnet so ein Fettsack sein? Hat sie mich wirklich drei Monate lang mit ihm betrogen? Habe ich vielleicht doch einen großen Fehler gemacht, der dazu geführt hat, dass jetzt alles so schrecklich ist? Warum hat sie mir das nicht gesagt? Und warum hat sie mich vor wenigen Wochen stundenlang bequatscht, bis ich der Hochzeit im nächsten Sommer zugesagt habe, und jetzt das?!
Mein ganzes Leben ist sinnlos und leer und macht keinen Spaß und alles ist kaputt und tut weh. Mein verunstaltetes Aussehen passt ganz gut dazu.
sechstes Kapitel
Ich erwäge einen Moment lang, meine Beteiligung an der heutigen Bandprobe abzusagen. Eigentlich ist immer mittwochs Probe, aber weil zwei aus der Band morgen zu einer Feier eingeladen sind, ist sie um einen Tag vorverlegt worden.
Seit ungefähr zwei Jahren bin ich Schlagzeuger in der Kirchenband. Meistens spielen wir nur für uns selbst, manchmal begleiten wir sonntags die Anbetungszeit oder machen bei Jugendgottesdiensten mit oder wo man sonst noch ein bisschen Live-Musik gebrauchen kann.
Die Band heißt übrigens Jesus-Pop-Band, und damit ist alles gesagt. Jesus ist ein cooler Typ, Popmusik ist doof. Ich hasse Popmusik; ihre Rhythmen sind meist recht einfach – und was die Band so spielt, ist hundertmal langweiliger.
Es bringt leider nichts, einen Wechsel der Stilrichtung anzuregen. Eelco, der Bandleader, lässt in vielen Dingen nicht mit sich reden, und dabei schon gar nicht. Er hat stellenweise sehr hohe Ansprüche an seine Mitmenschen, zum Beispiel erwartet er, dass wir vorbereitet zu den Proben kommen. Wir sollen also alleine üben, damit beim gemeinsamen Üben (was eine Probe ja ist) alles glatt läuft. Aber was soll ich üben für Popmusik?! Darüber bin ich schon mehrfach mit Eelco aneinander geraten. Dabei bemängelt er nicht, dass ich schlecht vorbereitet bin, sondern dass ich mich nicht an die geforderte Disziplin halte.
Pieter, der sich regelmäßig meinen Frust über die Band anhören muss, fragt mich ebenso regelmäßig, warum ich mir das überhaupt antue. Dabei weiß er es – es liegt am Schlagzeug. Das gehört nicht mir, sondern einem ehemaligen Bandmitglied, das uns die Trommeln freundlicherweise überlassen hat. Bis ich mir endlich ein eigenes leisten kann, muss ich noch ungefähr ein halbes Jahr lang sparen.
Beim Hin und Her meiner Erwägungen fällt mir ein, dass es vielleicht nicht gut ist, mich so völlig von allen Leuten abzuschotten. Außerdem kommt mir der Gedanke, nicht erst heute Abend, sondern schon jetzt zu Maarten zu fahren.
Unser Gitarrist Maarten lebt auf einem ehemaligen Bauernhof. Seine Eltern haben den Hof vor Jahren zu einem Mini-Camping umgewandelt, und in einer leerstehenden Scheune am hinteren Ende des Geländes ist unser Proberaum. Das Schlagzeug steht immer dort, außer wir haben irgendwo einen Auftritt.
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