4. Juni 2015

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Im Büro, in dem auch unsere Schrankfächer sind, sitzt Andjo schon und ordnet Papiere. Das tut sie immer morgens, weil es dann noch ruhig ist. Die ersten Kinder kommen um halb acht. Sie sieht kaum auf, als ich herein komme, meine Sachen in den Garderobenschrank hänge und nach der flüchtigen Antwort auf ihr „Morgen, Jeremy.“ wieder verschwinde.
Wahrscheinlich hat sie aber doch gemerkt, dass ich heute nicht so heiter drauf bin wie sonst. Sonst bin ich nämlich der reinste Gute-Laune-Garant. Pieter hat mal gesagt, dass ich, egal, was kommt, immer ein Liedchen (gesungen oder gepfiffen) im Handgepäck habe. Pieter kennt mich gut und die Beschreibung trifft es ziemlich genau.
Ich gehe in meinen Gruppenraum, wo die Meerschweinchen mit meinem Eintreffen den üblichen Terz veranstalten. Als hätten sie seit Wochen kein grünes Blatt bekommen!
Viele der Gruppen haben Tiere; Meerschweinchen, Karnickel, Vögel, Fische oder Schild­kröten. Erstens ist es toll, Tiere zu haben und zweitens lernen die Kinder so Verantwortung zu übernehmen. Sie sind reihum mit Füttern und Saubermachen dran; nur am Wochenende übernimmt es einer von uns Lehrern. Dann ist immer einer für alle Tiere aus dem Bereich zuständig, sonst ist man so häufig an der Reihe. Bei uns von den unteren drei Gruppen gibt es besagte fünf Meerschweine, ein Aquarium voller Fischlein und vier Wellensittiche. Zum Glück ist niemand gegen die Tiere allergisch.
Ich habe meine Sachen auf dem Schreibtisch abgestellt und will in die Küche gehen, um mir einen Kaffee zu holen. Andjo lässt mich jedoch nicht aus dem Raum, sie bleibt einfach an den Türrahmen gelehnt stehen. „Was ist los mit dir?“, will sie freundlich wissen.
„Nichts“, versuche ich möglichst überzeugend von mir abzulenken, „ich bin nur müde.“
So, wie sie mich anguckt, bin ich nicht überzeugend. „Was ist mit deiner Frisur passiert?“
„Ein Unglück.“ Sieht man doch, setze ich missmutig in Gedanken dazu.
„War das deine Krankheit von gestern?“
Ich gebe zu, dass ich einigermaßen eitel bin, aber wegen einem Missgeschick des Frisörs krank zu feiern, wäre doch etwas überzogen. (6) „Nein. Das ist eine der Begleiterscheinungen.“ Ich schiebe sie zur Seite und gehe an ihr vorbei aus dem Raum, und Andjo kann sich überlegen, ob sie dort bleiben will oder mir folgt.
In der Küche holt sie mich ein, als ich die Kaffeemaschine in Gang setze. Weil ich nicht will, dass sie weiter da rumsteht und mich anguckt, räume ich die Spülmaschine aus.

In der MBB sind die drei- bis fünfjährigen Kinder nicht wie an anderen Schulen nach dem Alter aufgeteilt, sondern in drei gemischten Gruppen mit 22 bis 24 Kindern untergebracht. Deswegen haben wir zwar zwei Stufen, aber drei Altersklassen: es sind ja schon Kinder vor Beginn ihrer Schulpflicht bei uns. Wir sind also eine Mischung aus Kinderhort, Kindergarten und Schule. Das mutet ein bisschen kompliziert an, ist aber das vernünftigste Konzept, das ich in dieser Sache bisher angetroffen habe.
Natürlich sind die schulpflichtigen Kinder während ihrer Zeit bei uns auch in der ersten oder zweiten Stufe, damit sie altersgerecht gefördert werden, aber sie haben für die ganze Zeit dieselben Bezugspersonen. Erst ab der Dritten ändert sich das, dann werden sie wie üblich nach dem Alter bzw. ihrem Entwicklungsstand getrennt unterrichtet und erhalten jährlich neue Gruppenlehrer.
Weil die Kleinen zu Anfang nicht lesen können und mit den Bezeichnungen von 1A bis 2C nichts anzufangen wüssten, haben die Gruppen Symbole. Den Kindern fällt es leichter, sich mit „Driehoek“, „Rechthoek“ oder „Cirkel“ zu identifizieren.
Bei den Driehoeken arbeite ich seit drei Jahren mit meiner Kollegin Grietje zusammen.

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