4. Juni 2015

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Sie besitzt die Frechheit, mich „Na, was ist? Hilfst du uns beim Tragen?“ zu fragen.
„Hast du keine Angst, dass ich dich dann die Treppe runterschubsen könnte?“, kontere ich und mache mich daran, die CDs und DVDs zu sortieren. Dann gehe ich in die Küche und schließe die Tür hinter mir.

Als ich die Wohnung wieder für mich habe, hole ich am Bahnhof mein Fahrrad ab und fahre danach zum Supermarkt. Auch das Bier ist schon wieder alle. Eigentlich bin ich kein großer Alkohol-Fan, aber im Moment will ich lieber nicht alles lebensecht und im Originalton mitbekommen.
Wieder zuhause mache ich mir in Begleitung der ersten Flasche einen Überblick davon, was noch in der Wohnung ist und was ich mir demnächst neu zulegen muss.
Das Schlafzimmer hat es am schlimmsten erwischt. Meine Klamotten liegen in unordentlichen Bergen auf dem Bett. Ich wette, dass es Kristiens Idee war, die Kleiderbügel mitzunehmen. Besser hätte ich mich nicht in die Küche verzogen, sondern den beiden auf die Finger geguckt, dann wäre mir das nicht passiert.
Zähneknirschend fange ich an, die Sachen zu falten. Zuerst müssen sie in der uralten halbhohen Schrankwand aus mahagonifarbenem Holzimitat Platz finden, die ich schon lange vor Helenas Einzug hatte.
Nebenan im Wohnzimmer geht es noch. Der Urwald aus Zimmerpflanzen ist weg; nur ein armer, verkümmerter Gummibaum, den ich Helena mal geschenkt habe, steht noch an der Balkontür. Ebenso fehlen Glotzkiste und Schrank, und was sich außer den DVDs sonst noch darin (5) befunden hat, liegt kreuz und quer auf Sofa und Sesseln verteilt.
Für die restlichen Sachen wird sie demnächst noch einmal kommen. Ich glaube, ich werde es trotzdem so einrichten, dass ich dann nicht da bin, auch wenn ich damit riskiere, dass es hinterher wieder aussieht wie nach einem Wirbelsturm.

Montagabends sind Helena und ich zum Pärchen-Tischtennis im Sportcentrum Zuyderkerk verabredet. Normalerweise sind wir besser als die anderen, weil ich mich ziemlich schnell bewegen kann und dabei noch treffsicher und koordiniert bin und Helena sich gut auf meinen Stil einlassen kann. Hier ist aber nichts mehr normal, deswegen ist das die Veranstaltung, bei der ich mich heute ganz sicher nicht blicken lassen werde. Vermutlich war ich vorigen Montag zum letzten Mal da, denn was soll ein Single beim Pärchen-Tischtennis?
Und überhaupt wäre ich heute bestimmt nicht in der Lage, ordentlich zu spielen. Stattdessen könnte ich die Wände hoch laufen! Warum hat sie mir das angetan? Und was hat dieser Vince sich dabei gedacht, sich nicht mal hier blicken zu lassen, und die Mädels den ganzen Kram alleine schleppen zu lassen?! Scheint so, dass er nicht nur fett, sondern auch noch faul ist. Na, da hat Helena sich ja echt einen tollen Typ ausgesucht!
Apropos toller Typ: Ich habe jetzt – ganz im Gegensatz zu Helenas Wackelpudding – alle Freiheiten, die ein Mann sich wünschen kann. Und das werde ich ausnutzen! Als ich pinkeln muss, erledige ich das im Stehen und unterlasse es danach absichtlich, die Brille wieder herunter zu klappen. Bierflaschen mache ich neuerdings an der Kante der Fensterbank auf und den Kronkorken lasse ich einfach dort liegen.
Ich benehme mich jedoch nicht nur ein bisschen daneben, ich habe auch ziemlich zielgerichtete Gedankengänge. Ich glaube nämlich, dass für mich ein Imagewechsel an der Reihe ist.
Weil ich jetzt nicht mehr der süße Jeremy bin, die Sanftmut in Person, für jeden Blödsinn zu haben, sondern der Eisige, Verlassene, kann ich logischerweise auch nicht mehr so aussehen wie der, den Helena mal geliebt hat. Die Konsequenz daraus ist, dass ich mir die Haare kürzen sollte.

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