17. Juni 2016

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In dem Moment betritt ein Mann das Büro und hat schon seinen Satz mit „Nieke, könntest du“ angefangen, aber er beendet ihn mit: „Was ist denn hier los?“
Niemand arbeitet mehr. Die drei Frauen gucken uns zu und tuscheln, ich halte Nieke fest, sie sich schluchzend an mich klammert. Jetzt kommen auch noch zwei Leute aus dem Flur herein. Drei. Fünf.
„Was ist mit ihr passiert?“, will er erneut wissen.
„Ich glaub, sie hat einen Heiratsantrag bekommen“, sagt eine Kollegin.
„Langsam, eins nach dem anderen“, bitte ich.
„Wer sind Sie denn?“, fragt er.
„Jeremy Willem van Hoorn. Seit ungefähr einer halben Minute in glücklicher Beziehung mit Ihrer Kollegin.“
„Nieke macht keinen besonders glücklichen Eindruck. Sie weint“, informiert er, als sei das meine Schuld! Das heißt – wahrscheinlich ist es so. Aber sie wird mir verzeihen, ich weiß es.
„Gefühle lassen sich manchmal nicht so klar definieren. Immerhin hält sie sich an mir fest.“ Behutsam streichle ich ihren Rücken.
„Ich hab Sie doch auch schon mal gesehen, oder?“
„Ich wüsste nicht, wo“, behauptet mein Namensgedächtnis mit aller Überzeugung. Ich habe ja weder mit Blumen noch mit Export zu tun.
„Doch, am Freitag in Zuyderkerk. Da haben Sie in Niekes Band mitgemacht.“
„Ach so.“ Was heißt eigentlich, ich hätte in ihrer Band mitgemacht?
„Ich bin übrigens Leo Bloemberg.”
Ich habe ihn nie zuvor gesehen, aber ich weiß es sofort: „Der Junior!“
„So ist es.“
„Ich hatte Sie mir jünger vorgestellt“, rutscht es mir raus. Der Mann ist nämlich ungefähr so alt wie Gerrit. Da schmunzelt er. „Ich bin jünger als der Senior, das muss reichen. Übrigens fände ich es besser, wenn Sie das Gebäude verlassen, damit die anderen Leute“ hier schaut er in die Menge, die inzwischen das Bürozimmer bevölkert, „in Ruhe weiter arbeiten können. Richten Sie Nieke bitte aus, dass sie den Rest des Tages frei hat, denn konzentriert arbeiten wird sie ja vermutlich nicht mehr.“
„Das sag ich ihr. Dankeschön!“
„Bitte.“ Herr Bloemberg verlässt das Büro und mit ihm die meisten der Angestellten.
„Ich könnte dich schlagen“, murmelt sie und nimmt die Brille ab, um sie zu putzen. „Niemand nennt ihn Junior, wenn er dabei ist! Und überhaupt! Vor allen Leuten! Ich werde keine ruhige Minute mehr haben!“
Ich lache nur darüber. „Pack deinen Krempel und lass uns abhauen. Du hast frei.“
„Hättest du mich nicht nach Feierabend fragen können? Dann hätte ich auch ja gesagt.“
„Es war halt eilig.“ Ich will sie küssen, aber leider schiebt sie mich weg.
„Was machst du eigentlich um diese Uhrzeit hier? Hast du auch frei bekommen?“
„Nein, ich muss wieder zurück in die Schule. Grietje wartet da auf mich.“
Wir gehen aus dem Gebäude, in dem sich nur freundliche Menschen aufzuhalten scheinen, denn alle lächeln uns zu.
An der Bushaltestelle angekommen sagt sie: „Wir machen es so: Ich fahre nach Hause und bringe mein Gesicht in Ordnung und du beendest deinen Arbeitstag und dann treffen wir uns vor der Schule.“

Vielleicht hätte man auch mir den restlichen Arbeitstag frei geben sollen, denn besonders konzentriert bin ich nicht mehr gewesen. Aber schließlich ist es geschafft, der Feierabend ist erreicht(390) und ich darf das Schulgebäude verlassen. Nieke wartet schon.
„Hoi“, sagt sie und schaut mich an. Und lächelt. Und fasst meine Hand.
Ach – ist das schön. Ich küsse sie. Jetzt macht sie mit.
Irgendwann trennt sie uns aber. „Können wir bitte hier weg gehen?“, wispert sie.
„Warum?“
Sie nickt mit dem Kopf beiseite. Jetzt bemerke ich die Gruppe Teenager, die lachend und johlend mit ihren Fahrrädern Kreise um uns fahren.
„Wo kommen die denn auf einmal her?“
„Sie sind schon die ganze Zeit hier.“
Na klar, wir stehen mitten auf dem Schulhof! „Und das ist dir unangenehm.“
„Ja.“
„Wo steht denn dein Auto?“
„Bei dir vorm Haus. Ich bin hergelaufen. Ich hatte gedacht, es wäre nicht so weit.“
„Du kannst auf dem Gepäckträger sitzen, du musst bloß meine Tasche festhalten.“
Das tut sie, und vor allem hält sie sich an mir fest. Ich könnte bis Peckovar fahren, damit sie mich nicht so bald loslässt. Mit dem Fahrrad bis Peckovar dauert bestimmt eine Woche.
„Wo fährst du denn hin?“, fällt ihr auf, dass ich einen anderen Weg nehme.
„Das wirst du sehen!“ Nein, nicht nach Bosnien!
„Ist es eine Überraschung?“
„Das Leben ist voller Überraschungen!“
„Ich liebe dich!“
„Und ich liebe dich!“

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