3. Juni 2016

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„Wir haben eh’ nur noch fünf Minuten“, sagt der eine und der andere holt eine Zigarettenschachtel aus der Tasche. „Ihr könnt machen, was ihr wollt.“
„Okay, danke!“ Es kann natürlich sein, dass gleich andere Leute mit ihrer Pause anfangen, die im Aufenthaltsraum Ruhe haben wollen, aber man kann ja mit allen reden. Wir haben sehr gute Proberaumnachbarn.
Ich hole Mark und Sammy und die DVD, wir lassen uns auf dem verschlissenen Sofa nieder und ich suche ein paar repräsentative Filmminuten heraus. Äußerst repräsentativ für unseren damaligen Stil ist das Höllenlied. Es war das erste Lied, das der Heilige Geist Miloš gegeben hat und auf seine Art ist es brutal, direkt und ehrlich. Es haut mich immer wieder vom Stuhl, wenn ich die Aufnahme sehe, es kommt unheimlich wuchtig daher.
Heute, über ein halbes Jahr später, spielen wir es immer noch, aber wir haben unsere Veränderungen mit hinein genommen und wenn wir eine heutige Version mit der Rohfassung von der Übungs-CD vergleichen, klingt es, als lägen Jahre dazwischen. Die Lieder, die Miloš heute vom Heiligen Geist bekommt, sind anders. Ich weiß nicht, woran das liegt, ob sich ihre Beziehung geändert hat (das ist ja nicht schlecht) oder ob er anders Bass spielt.
Sämtliche Änderungen beziehen sich allerdings auf einen gesunden Miloš. Was er derzeit mit der Bassgitarre erzeugt, hat weder Donner noch Drummel.


hundertneunundsiebzigstes Kapitel

Logischerweise wollen Sammy und Mark den ganzen Film angucken. Ich habe aber andere Dinge mit meinem Tag vor, wenn es nicht mehr um Improvisationen geht, deswegen leihe ich den beiden die DVD (es ist eine Kopie, das Original liegt bei Merle) und wir verabreden uns für den nächsten Sonntag.
Der Mitbewohner hat eine Überraschung für mich, ich sehe sie, als ich auf die Terrasse komme. Da stehen nicht mehr Mommis Gartenmöbel, sondern ganz andere aus dunkelgrünem Plastik. Ein runder Tisch, vier Stühle und eine Liege.
„Miloš?“, rufe ich, kaum dass ich im Haus bin.
„Hier“, tönt es vom Sofa.
Ich gehe in den Wohnraum. Er liest. „Woher haben wir die Gartenmöbel?“
„Sandrine hat sie uns geschenkt, sie haben sich neue gekauft, aber sie wollten die hier nicht wegwerfen, weil sie ja noch gut sind. Also hat sie mal im Kollegenkreis nachgefragt, wer sie haben will. Ihr Mann hat sie zur Arbeit gebracht, dann sind wir hierhin gefahren, haben die Sachen ausgeladen, haben Amalias Möbel eingeladen und zu ihr gebracht, und weil er dann immer noch Taxi für mich spielen wollte, haben wir Sloba noch ihren Kram gebracht. Jetzt ist alles da, wo es hingehört.“
Stimmt, jetzt, da er es sagt, fällt es mir auch auf: Der Kistenstapel neben dem Bücherregal ist weg.(329) „Aber warum liegst du hier drinnen rum, wenn wir so eine tolle Liege haben? Die sieht ja recht gemütlich aus.“
„Ja, ist sie, aber mir ist es zu kalt draußen.“
Ein Serbe ohne Temperaturempfinden friert? Wo gibt’s denn so was?! Ich halte mich nicht damit auf. „Hast du schon was gegessen?“
„Butterbrote. Hat Sloba dich erreicht?“
„Ja. Freitag gehen wir ins Kino, sie hat mich eingeladen.“
„Aha“, grinst er, „Letzte Reihe im dunklen Kino? Pass bloß auf deine Finger auf!“
Schnaubend wende ich mich ab. Sollte der Fall eintreten, dass ausnahmsweise Sloba keine dummen Kommentare macht, ist es sicher Miloš. Manchmal nervt mich diese Sippe. Ich gehe in die Küche und setze Kaffee auf. Irgendwo muss noch ein Stück Europameisterkuchen sein.
Er erhebt sich vom Sofa und kommt auch in die Küche, bleibt aber nicht, sondern geht weiter zur Terrassentür und will raus. Mit einem abrupten Schrei knallt er die Tür zu.

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