2. Juni 2016

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Ich gehe gar nicht auf seinen Ablenkungsversuch ein und präzisiere meine Diagnose: „Erkältet. Dass ich das noch erleben darf. Ich dachte ja, du wärst unheilbar gesund! Wie konnte das nur passieren?“
„Weiß ich nicht“, liefert er mir die Vorlage für den nächsten dummen Spruch: „Wieso? Du warst doch dabei!“
„Ha, ha.“ Er nimmt ein Stück Küchenpapier und putzt sich die Nase. „Wo ist Sloba?“
„Hast du auch Fieber?“
„Nein.“
Ich strecke trotzdem die Hand nach seiner Stirn aus. Natürlich weicht er aus, aber nicht weit genug: mein Arm ist lang. „Kein Fieber.“ (Stattdessen dumpfer Druck im Muskel.)
„Sagte ich doch. Kannst du jetzt mal meine Frage beantworten?! Wo ist Sloba?“
„Siehst du sie hier irgendwo? Wo wird sie sein, da sie kein Frühaufsteher ist?“
„Warum sagst du nicht einfach, dass sie noch pennt? Und übrigens, hör auf mit deinen Doktorspielchen, du kommst zu spät zur Arbeit.“
Du willst mich loswerden, aber nun gut. Ich packe meinen Krempel zusammen und mache mich nach einem schwungvollen „Gute Besserung!“ auf den Weg.

In der Schule ist alles wie immer, wenn man von der Tatsache absieht, dass mich einige Kollegen auf meine Freundin ansprechen und das, was sie mit mir macht. Oh je. Anscheinend war wieder der halbe Kollegenfanclub beim Auftritt und ich habe keinen einzigen bemerkt. Immerhin habe ich nicht auch noch so viel getrunken wie Sloba, denn bei mir hätte das andere Auswirkungen gehabt als bei ihr.(301)
In der Mittagspause kommt Shelley mit einem Telefon auf mich zu. „Für dich.“
„Wer ist es?“, frage ich halblaut.
„Äh … hab ich vergessen“, gesteht sie errötend.
Ich verlasse Gemüseschnitze und Butterbrot und melde mich erst im Flur, weil es da still ist: „Mol en Beltsnijder Basisschool, Sie sprechen mit van Hoorn. Was kann ich für Sie tun?“
„Stevens broodjes in Barenkarspel, Sie sprechen mit Kusturica und können einiges für mich tun“, kontert Miloš. „Du müsstest mal dringend mit Sloba sprechen–“
„Du kannst ja wieder reden!“, quake ich dazwischen. „Na so ein Glück, bist du vielleicht doch nicht krank?“
Er schnaubt und ich weiß, dass er die Augen verdreht. „Manchmal bist du echt eine Strafe.“
„Offenbar hast du sie verdient. Worüber soll ich mit Sloba reden?“, lenke ich ab, damit er nicht gleich herkommen und mich durchkitzeln muss. Ein paar Kinder laufen durch den Flur und ich will ins Büro gehen, weil dort niemand ist, aber vorher hole ich mein Mittagsbrot aus dem Gruppenraum.
„Frag sie, wie sie sich den Fortgang ihres Aufenthaltes hier vorgestellt hat.“
„Den Fortgang ihres Aufenthaltes?! Kannst du auch mal normale Sätze machen?“
Er lacht. „Freu dich doch, dass ich mit der Sprache so vertraut bin, dass ich nicht immer nur normale Sätze machen muss!“
„Ja, ich freue mich: freu, freu, freu. Wie kommst du drauf, dass ich mit ihr dadrüber reden müsste?“ Weil es länger dauern könnte, fläze ich mich in Andjos Bürosessel.
„Ich habe heute morgen zufällig mitbekommen, dass sie mit ihrem Chef telefoniert hat, also dem Rektor von der Schule in Banja Luka.“
„Moment“, unterbreche ich, „was heißt zufällig? Hast du sie belauscht oder was?“
„Ich saß auf dem Klo, das Fenster war auf Kipp und sie hat auf der Terrasse telefoniert. Ich wollte ungern auf mich aufmerksam machen. Jedenfalls scheint es so zu sein, dass sie sich nicht an der Schule abgemeldet hat, sondern einfach abgehauen ist. Soweit ich das richtig interpretiere, hat der Rektor ihr ein Ultimatum gestellt, dass sie binnen einer Stunde aufkreuzen sollte, andernfalls kann sie sich einen neuen Job suchen.“
„Das ist von hier aus sogar ohne Stau etwas knapp.“

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