21. Dezember 2015

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Ich halte einen Waschlappen unter Warmwasser und wasche das Blut von seinem Rücken. Es wäre mir lieber, er würde zum Arzt gehen. „Und jetzt?“, erkundige ich mich vorsichtig.
„Verbinden.“
„Ohne Verbandsmaterial wird das schwierig.“
„Was hast du denn in der Hausapotheke?“
„Pflaster. Und Kopfschmerztabletten.“
Er steht auf und versucht sich im Spiegel von hinten zu begucken, was aber offenbar kein Ergebnis bringt, denn er fragt: „Blutet es noch?“
„Nein.“
„Dann lass es so.“ Er atmet schwer. „Das wächst wieder zu.“ Nun will er sich mit dem Waschlappen das Blut vom Gesicht wischen.
Ich sehe, wie er schwankt. Ich halte ihn an den Schultern, ziehe den Hocker mit dem Fuß ran und drücke ihn darauf. Dann nehme ich ihm den Lappen ab und säubere ihn behutsam. Anschließend helfe ich ihm in ein T-Shirt und eine Shorts und begleite ihn in sein Bett.
„Körnerkissen“, erinnert er matt.
„Gleich.“ Ich fange an mit dem Gesicht, segne das linke Auge nebst Augenbraue, die Nase, die Lippe. Dann natürlich die Wunde am Rücken, den Bauch, die verschrammten Fäuste. Das rechte Knie, das, wie ich erst jetzt bemerke, dick geschwollen ist (stimmt, er hat gehumpelt) und die Seele, die bei so einem Überfall auch immer Schaden nimmt.
Ich hole die Körnerkissen herauf und die Salbe fürs Knie und ein kleines Schälchen mit Olivenöl. Davon streiche ich ihm auf sein geschundenes Gesicht und die Hände, damit die Haut nicht spannt, wenn die Wunden trocknen oder die Schwellungen noch weiter zunehmen.(201) Danach verteile ich die Körnerkissen unter der Bettdecke und die Salbe auf dem Knie.
Obwohl er mich nicht darum gebeten hat, bleibe ich an seinem Bett sitzen, bis er eingeschlafen ist. Mir hätte das gut getan.
Irgendwann fange ich an zu beten. Danke, dass du ihn bewahrt hast. Gegen drei und ein Messer hätte es auch anders ausgehen können. … Und mach, dass er keine Angst hat, wenn er das nächste Mal im Dunkeln unterwegs ist. Mach sein Herz heil, dazu hab ich ja eben gar nichts gesagt. … Und bestimmt will er sich jetzt einen neuen Anzug kaufen. Schenk ihm so viel Geld, dass er nicht den billigsten nehmen muss. Er trägt doch so gerne so schickes Zeug. … Hatte er eigentlich beim Überfall viel Geld bei sich? Na ja, die Taschen im Anzug waren leer, also wird alles geklaut sein. … Kannst du das bitte so machen, dass die Papiere gefunden werden und sie jemand zu uns zurück bringt oder vielleicht bei der Polizei abgibt? Es dauert furchtbar lange, bis alle Sachen wieder zusammen sind, das weißt du ja auch. Erst recht der Pass. Dafür muss er bestimmt bis nach Den Haag zur Botschaft fahren.

Mein erster Weg am nächsten Morgen führt ins Nachbarzimmer. Das Bett ist leer! Kopfschüttelnd gehe ich nach unten. Gestern war er mehr tot als lebendig, und heute läuft er schon wieder um den Block?
Nicht ganz. Er sitzt auf der Terrasse, neben sich auf Mommis Gartentisch eine Tasse Kaffee, das rechte Bein auf den zweiten Stuhl hochgelegt, und genießt die Strahlen der Wintersonne. Jetzt erinnert er mich wirklich an den Boxer aus dem Film; der hatte seinen Kampf nämlich verloren.
Er macht die Augen nicht auf. „Guten Morgen. Drinnen ist Kaffee für dich.“
„So weit bin ich noch nicht, ich muss erst ins Bad. Wie geht’s dir?“
Jetzt guckt er mich doch an – soweit es das Gesicht zulässt. „Beschissen, aber viel besser als gestern Nacht.“

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