30. November 2015

302

„Habe ich je behauptet, ich würde ihn verstehen? Im Übrigen kenne ich noch mehr Leute, die sich hartnäckig weigern, mit so einem Gerät umzugehen.“
Ich erkenne die Spitze. „Im Gegensatz zu deinem Vater hab ich dir immerhin so ein Teil geschenkt. Da könntest du dankbar sein.“
„Bin ich, bin ich. Immer wenn ich es anfasse, habe ich gute Gedanken an dich. Das kann nicht jeder von sich sagen.“
„Möglich“, mutmaße ich. „Jetzt könntest du mir sagen, was dein Vater von dir wollte.“
Kopfschüttelnd verzieht er sich in die Küche.
Lisanne erklärt: „Seine Eltern werden am kommenden Freitag das Land verlassen. Also muss die Kusturica-Abschiedsvorstellung organisiert werden: Montag bis Donnerstag geht Miloš mit ihnen zu den Ämtern und in der restlichen Zeit hilft er beim Einpacken und Aufräumen. Sie treffen den Bekannten am Freitagnachmittag in Alkmaar und er bringt sie hin. Das war im Groben der Inhalt des Telefonats.“
Weil sie neben sich aufs Sofa klopft, lasse ich mich nieder, statt beim Tischdecken zu helfen. „Hat er dir das gesagt oder kannst du so gut serbisch, dass du das verstanden hast?“
„Serbokroatisch“, antwortet Miloš an ihrer Stelle und mit so weicher Stimme, dass ich aufschaue.
Moo…oo…ment mal. Gestern Abend noch hat er mir überaus deutlich klar gemacht, dass zwischen ihnen nur tiefe Verbundenheit ist. Und jetzt guckt er sie an, als wenn … Außerdem hat sie serbokroatisch gelernt!(151) Das ist nicht gerade Fremdsprache Nummer Eins, wenn man hier wohnt oder wie Lisanne in der Personalabteilung eines Großhandels für Regalsysteme arbeitet. Was also …?!
„Miteinander reden sie zu schnell, dann bleibt nur hier und da ein Wort hängen, außerdem hört man ja nur die Hälfte von so einem Gespräch. Aber hinterher hat er es mir noch einmal aufgesagt und da habe ich fast alles verstanden.“
Ich versuche den Wirrwarr vorsichtig aufzulösen. „Warum kannst du serbokroatisch?“
Kopfschüttelnd lächelt sie mich an. „Es ist die Herzenssprache meines besten Freundes.“
Überforderung baut sich vor mir auf wie eine Wand. „Wird das hier der Vorwurf, warum ich nicht längst damit angefangen habe?“
„Nein“, sagt sie und streichelt meinen Arm. „Ich weiß, dass du nicht gut Fremdsprachen lernen kannst. Es ist eine Gabe, dem einen fällt es leicht, dem anderen nicht.“
„Ach, du kannst das nicht gut?“, wundert Miloš sich. „Warum sagst du dann, dass es mit dem Intellekt zu tun hat?“
„Wann hab ich denn das gesagt?“
„Irgendwann vor dem Sommer. Da hast du mir erklärt, warum manche Kinder so lange brauchen, um die Sprache zu lernen. Schlaue Leute lernen leichter Sprachen und dumme brauchen länger. Wenn man das weiterdenkt, kommt man unausweichlich an den Punkt, warum ich so lange gebraucht habe, obwohl ich ja nicht blöd bin.“
Zu mehr als „Äähhh“ bin ich nicht in der Lage. Habe ich das wirklich gesagt? In welcher Phase von geistiger Umnachtung habe ich mich befunden anzudeuten, dass Miloš vielleicht dumm ist?
„Das würde ja heißen, dass es eine reine Kopfleistung“, fügt er an, aber ich unterbreche mit einer Art Hilfeschrei: „Darf ich bitte ungestört nachdenken?!“
„Schau mal nach dem Kaffee“, schickt Lisanne ihn aus dem Raum und verharrt schweigend neben mir.
Als meine Gedanken sortiert sind, ist mir klar, dass ich es mir sehr einfach gemacht habe mit den schlauen und dummen Leuten, und dass meine Äußerungen noch dazu ziemlich verletzend waren. Wenn es wirklich mit dem IQ zu tun hätte, könnte man anhand einfacher Messungen die Fähigkeit zum Spracherwerb feststellen und wer sich unterhalb eines gewissen Levels befindet, muss sich demnach keine Mühe mehr machen, weil er gar keine Chance hat.

Keine Kommentare: