9. November 2015

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„Erinnerst du dich denn nicht mehr?“, fragt sie, und weil ich verneine, erklärt sie: „Du hast mich zweimal mit total besoffenem Kopf in Alkmaar besucht und wolltest über alles reden. Ich hab da bei Kristien gewohnt, es war ja gleich nach dem Schlussmachen. Das erste Mal hab ich dich einfach wieder nach Hause gefahren, weil du uns sonst im Hausflur eingeschlafen wärst.“ Noch einmal schnäuzt sie sich. „Und das zweite Mal hat Kristien ihren Nachbar geholt, weil ihr das unheimlich war, dass du ständig aufgekreuzt bist. Sie wollte nicht, dass du Randale machst, dann hätten wir die Polizei rufen müssen, und das wollte ich nicht. Und als du da in die Wohnung kamst, hat der Nachbar sich vor uns gestellt und du hast ihn für meinen Neuen gehalten und bist voll heftig durchgedreht. Ich hab gedacht, jetzt brüllst du tierisch rum, aber du hast ganz leise geredet, das war viel schlimmer. Dass ich nicht glücklich mit ihm werden würde. Und dann bist du einfach gegangen.“
„Aha“, mache ich. „daran kann ich mich tatsächlich nicht mehr erinnern.“ Kein Wunder bei den Mengen von Bier, die ich vor einem Jahr verkonsumiert habe!
„Ich schon“, sagt sie, „und es war schrecklich. Erst hab ich mich aber gar nicht um das gekümmert, was du gesagt hast. Aber als ich dann mit nem Kerl zusammen war und es total furchtbar mit ihm war, da hab ich wieder an deine Worte gedacht. Nicht lange danach hat er Schluss gemacht und als ich mit nem anderen zusammen war, wurde es noch schlimmer. Bitte, Jeremy, kannst du den Fluch wieder wegnehmen?“
Hätte mir einer bis gerade eben von dieser wilden Geschichte erzählt, hätte ich wahrscheinlich bloß herzhaft gelacht. Helena ist nie gläubig gewesen. Sie ist der vernunftbetonteste Mensch, den ich kenne. Wie kommt sie nur plötzlich auf solche Ideen?
„Ich hab dich nicht verflucht, Helena“, versuche ich sie zu überreden. „Erstens, warum sollte ich so was tun, und zweitens, du hast doch sonst auch nicht an das ganze Glaubenszeug geglaubt, warum glaubst du jetzt, dass ein Fluch klappt?“
Sie fängt wieder an zu weinen. „Das glaube ich gar nicht, er klappt auch, wenn ich nicht dran glaube. Bitte, Jeremy, hör auf, darüber zu diskutieren und nimm ihn weg!“
Ich schiebe ihre Schultern so, dass sie mir genau gegenübersitzt und mir in die Augen gucken könnte, wenn sie nicht so viele Tränen darin hätte. Sie soll wissen, dass ich es ernst meine. „Ich hab dich wirklich nicht verflucht. So etwas käme mir echt nicht in den Sinn, nicht mal, wenn ich sternhagelvoll bin. Glaub mir das bitte. Aber wenn es dich tröstet – ich kann für dich beten und dich segnen“, biete ich an.
„Ja“, bettelt sie, „mach das. Und bitte jetzt, ich hab solche Angst vor dem Fluch.“
Ich bitte Jesus, sie ganz ruhig zu machen und ihr alle Angst wegzunehmen. Außerdem soll er ihrem Leben einen anderen Sinn geben, damit sie sich nicht über Partnerschaften identifizieren, sondern sich auch als eigenständige Person wahrnehmen und lieben kann. Zum Schluss segne ich sie mit meiner ganzen Autorität als Kind Gottes.
Helena murmelt ein „Danke“, kuschelt sich an mich und ich lege meinen Arm um ihre Schultern.

Als sie sich etwas beruhigt hat, sagt sie: „Du bist ein richtig netter Mann, weißt du das?“
Na klar weiß ich das, denn sie ist ja nicht die Erste, die mir das bescheinigt. „Ich habe mir ein bisschen Mühe gegeben“, sage ich stattdessen.
„Liebst du mich noch?“, fragt sie sehnsüchtig.
„Nein.“
Sie schnäuzt sich wieder. „Ich dachte nur, weil du die Uhr noch hast…“
Ich löse die Umarmung und wiederhole mit Entschiedenheit in der Stimme: „Nein, Helena, ich liebe dich nicht mehr. Unsere Zeit ist vorbei. Sie wird nicht zurückkommen.“ Weil es sich gut anhört, füge ich noch hinzu: „Und das weißt du auch.“

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