9. November 2015

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„Das ist der Nachteil bei deinen ganzen Bewegungshobbys“, lacht sie. „Ist der Bruch denn richtig verheilt oder hast du immer noch Probleme mit dem Arm?“
„Nein, man könnte fast sagen, dass der zweite Bruch das Beste war, was mir passieren konnte. Ich habe überhaupt keine Wetterfühligkeit mehr und wenn ich mich stoße, ist es ganz normal, als wenn man sich stößt.“
„Ein Glück“, sagt sie erleichtert.
„Noch einen Kaffee?“, fällt mir ein.
„Nein danke.“ Ihr fällt etwas anderes ein: „Hast du eine Freundin?“
„Nein. Ich wüsste nicht, wann ich mich noch um eine Frau kümmern sollte. Vielleicht hast du es mitbekommen, dass meine Band einen Auftritt auf einem Festival gewonnen hat. Da bleibt für nichts anderes Zeit, wenn man mal von der Arbeit absieht.“
„Die Jesus-Pop-Band spielt auf einem Festival? Was soll denn das für ein Festival sein?“, will sie zweifelnd wissen.
„Mitte November hat Eelco mich rausgeschmissen und seit April habe ich eine neue Band.“
„Und da machst du endlich die Musik, die dir gefällt.“
„Ja. Du wirst also nicht unser Fan werden. Zumindest nicht aus musikalischen Gründen.“
„Ich könnte Fan werden, weil ich die meisten Bandmitglieder kenne.“
Weil es interessanteres gibt als über ihren Fan-Status zu spekulieren, frage ich: „Und du? Neue Beziehung?“
Mit Erschrecken sehe ich, dass sich ihre Augen mit Tränen füllen. Helena scheint völlig fertig zu sein!
Leise, damit es nicht jeder andere am Tisch mitbekommt, erkundige ich mich: „Hey, was ist denn los?“, und berühre ihren Arm.
Helena wischt sich vorsichtig die Tränen weg, um ihr Make-up nicht zu ruinieren und murmelt „Nichts, es geht schon.“ Dabei guckt sie auf den Boden.
Sie braucht jemanden zum Zuhören. Jetzt. Dringend. Und ihr Zuhörer sollte viel Zeit haben. Und sie gut kennen. Auf die Schnelle komme nur ich in Frage, denn Ieuwkje ist arbeiten.
„Lass mich eben zu Ende essen, dann gehen wir ein paar Meter weg, da haben wir mehr Ruhe als hier zwischen den ganzen neugierigen Ohren“, schlage ich ihr vor.
Sie nickt, ohne den Kopf zu heben.

Kaum sind wir bei einer Bank zwischen ein paar Schafen als Publikum angekommen, gehen bei Helena alle Fluttore auf und ich habe viel Zeit festzustellen, wie es sich anfühlt, eine weinende Frau im Arm zu halten. Das ist neu für mich, denn früher, wenn sie geweint hat, hat sie das meist beim Streiten getan und dann habe ich nicht gerade ihre Nähe gesucht.
Als wir vorhin Tante Os Garten verließen, hat Pieter mich ganz seltsam angeguckt. Willst du etwa wieder was von ihr, hat der Blick wohl in Etwa heißen sollen. Nein, ich will nichts von ihr. Sie tut mir nur sehr leid. Allerdings war ich schon immer ein großer Meister im Einreden von Gefühlen, die nicht da sind, bzw. im Ausreden von Gefühlen, die umso deutlicher vorhanden sind. Also werde ich mich in dieser Angelegenheit überraschen lassen müssen.
Oh, Jesus, pass bitte gut auf mich auf, damit ich keinen Unsinn mache und nichts tue, was ich hinterher bereuen werde, bloß weil ich gerade in einer rührseligen Stimmung bin …

Mein T-Shirt ist schon nassfleckig und ihre Taschentücher sind längst aufgebraucht, als ihr Weinen endlich nachlässt. „Jeremy … bitte“, macht sie mit belegter Stimme, „Kannst du bitte den Fluch wieder von mir wegnehmen?“
„Was?“, mache ich erstaunt, „Welchen Fluch?“
„Du hast mich doch letzten Sommer verflucht. Und es ist alles genauso eingetroffen. Aber – bitte, nimm das wieder von mir weg, ja?“ Mit einem Blick, der vermutlich auch Steine erweichen könnte, schaut sie mich an.
Ich bin kein Stein, aber es hilft trotzdem nicht. „Ganz ehrlich, Helena, ich hab keine Ahnung, wovon du redest.“

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