28. Juni 2015

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Auf dem Weg zum Hafen fällt mir ein, dass ich vergessen habe, mich bei Mommi abzu­melden. Das tue ich immer, wenn ich länger mit der Kaap Hoorn unterwegs bin, damit sie sich keine Sorgen um mich machen muss, weil sie mich nicht in Zuyderkerk antrifft. Leider ist sie nicht zuhause, sodass ich ihr auch meinen neuen Bruder nicht vorstellen kann.
Cornelius hat jedoch etwas zu Schreiben zur Hand und ich hinterlasse meine Botschaft in ihrem Briefkasten.
Im Hafen verlade ich Fahrrad und Gepäckstücke alleine an Bord, denn Cornelius hat genug damit zu tun, sowohl mich als auch die Kaap Hoorn von vorne und von hinten und allen Seiten zu fotografieren. Kann es sein, dass es in Kanada keine Schiffe gibt? Na ja, vielleicht keins wie die Kaap Hoorn, das kann durchaus sein.

Nach der Aufregung beim Ablegen ist er jetzt, da wir das offene Wasser erreicht haben, auf einmal ganz still. Ich werfe einen Blick zu meinem neuen Bruder herüber. „Was ist los mit dir?“, erkundige ich mich. „Hast du keinen Bock mehr?“
„Nein … mir ist nur so komisch.“
Ja, stelle ich fest, und ganz bleich ist er auch. Der wird doch wohl nicht seekrank werden? Aber da springt er schon mit vorgehaltener Hand auf und rennt zu einem Eimer, den ich mittschiffs aus Nachlässigkeit habe stehen lassen.
Noch bleicher kommt er zu mir zurück. „Kann ich mich auf das Bett unten legen? Ich glaube, ich habe mir den Magen verdorben. Vielleicht waren es die Muscheln von gestern Abend, solche Sachen bin ich nicht gewöhnt.“ Mit zitternden Händen zündet er sich eine Zigarette an und inhaliert den Rauch. Eigentlich ist Rauchen an Bord streng verboten, aber heute mache ich mal eine Ausnahme. (Das Gesetz stammt von mir, denn ich bin der Kapitän und darf auf der Kaap Hoorn Gesetze erlassen.)
Es ist nicht zum Lachen, aber wie ich ihn da so stehen sehe, muss ich doch schmunzeln. „Mach dir mal keine Sorgen, die Muscheln waren okay. Dein Magen ist nur die Schaukelei nicht gewöhnt. Das nennt man Seekrankheit.“
Er guckt, als hätte ich mindestens Aids und Haarausfall zusammen diagnostiziert. Jedenfalls letzteres ist für Langhaarige eine harte Sache, das weiß ich aus eigener Erfahrung.
„Kopf hoch, so schlimm ist es nicht“, versuche ich ihn aufzumuntern. „Setz dich zu mir. Wenn wir uns was erzählen, vergeht dir die Zeit schneller. Außerdem ist frische Luft besser für dich als der Mief in der Koje. Wenn du noch mal kotzen musst, brauchst du übrigens nicht zum Eimer zu rennen.“ Ich weise mit dem Daumen hinter mich über die Reling. Zugleich hoffe ich, dass er im Notfall die Kurve kriegt und sein Mageninhalt nicht ausgerechnet mich trifft.
„Woher weißt du das alles?“, fragt er kläglich. „Warst du auch mal seekrank?“
„Nein. Aber das kriegt man so mit.“
„Sind alle, die hier wohnen … ehm … kriegen die das alle nicht?“
„Weiß nicht. Ich bin oft auf dem Wasser und war noch nie seekrank. Kann sein, dass es Veranlagung ist, vielleicht ist es aber auch Gewohnheit.“ Spontan versuche ich mich an jemand zu erinnern, der sich die Seekrankheit abgewöhnt hat. Mir fällt keiner ein. Das sage ich aber nicht, sonst wirkt meine Prognose nicht gerade mutmachend. Ich empfehle: „Erzähl mir von dir zuhause, was du so machst, und wie du überhaupt drauf gekommen bist, mich zu suchen. Und wie die Reise war.“
Irgendwie müssen wir die Zeit jetzt herum bringen, denn sonst wird die Überfahrt nicht besonders gemütlich für Cornelius. Ich will ihn auch nicht alleine hier an Deck sitzen lassen, um meine Bordapotheke auf links zu drehen. Dabei weiß ich nicht einmal, ob ich darin etwas Brauchbares finden werde – eher aber nicht.

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