1. Juni 2016

520

„Raus aus dem Zug, Richtung gewechselt und zurück nach Zuyderkerk“, kommandiert sie und freut sich diebisch.
„Da wolltest du die ganze Zeit hin, he?“, fragt er seufzend. „Na ja, ich gönne es dir. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“

Die Zeit bis zu seiner Ankunft haben wir im Pausenraum der Bäcker vertrödelt, gequatscht, Kaffee getrunken und Streuselkuchen von gestern gegessen.(284) Als Miloš erscheint, stellt Merle die beiden einander vor. Wir packen unseren Krempel und verziehen uns nach oben. „Was wird gespielt?“, erkundige ich mich, während Merle Wasser trinkt, Miloš den Bass stimmt und Nieke mit der Geige in der Hand herumsteht und dabei dekorativ aussieht.
Er macht es sich einfach. „Du bist der Chef. Was wird gespielt?“
„Die Balkanhochzeit.“
„Und danach?“
„Such dir was aus“, delegiere ich, schließlich bin ich der Chef! „Ich will keine Pause, kein Gelaber, sondern eine direkte Überleitung zum nächsten Lied.“
„Bekomme ich Noten?“, fragt Nieke, während Merle ihr ein Mikro bringt, um die Geige zu verstärken.
„Wir haben keine Noten. Ich hoffe, das ist kein Problem für dich.“ Wenn es eins ist, ist sie nicht unsere Frau. „Das Lied, das wir gleich spielen, hat dreizehn Strophen und nach jeder Strophe den Refrain. Das ist die vorgegebene Struktur. Ich möchte, dass du die erste Hälfte des Liedes nutzt, um mit uns auf eine Linie zu kommen. Danach kannst du machen, was du willst, aber es muss zum Lied und zur Band passen. Alles klar?“
Sie nickt und klemmt sich die Geige unters Kinn.
Ich zähle vor und los geht’s.

Das Lied ist nicht sehr anspruchsvoll zu trommeln und ich habe Zeit, die Geigerin zu beobachten. Sie ist nicht nur dekorativ, wenn sie herumsteht. Allerdings ist sie ja nicht bei uns, weil sie gut aussieht, sondern weil sie Musik machen möchte. Und das kann sie hervorragend. Sie spielt schnell und sicher, es sieht nach großer Routine aus.
Sie hält sich allerdings nur bedingt an meine Anweisung. Bereits nach der vierten Strophe fängt sie an zu experimentieren. Und wie! Mir geht das Herz auf. Nach der dreizehnten Strophe übernimmt Miloš die Leitung und führt uns nach kurzem Intermezzo geradewegs hinein ins Höllenlied.(285) Er spielt Freestyle, um Nieke keine Orientierung zu bieten, aber die braucht sie gar nicht. Sie interpretiert das Lied auf eine ganz eigene Weise.

Ich hole ein allgemeines Stimmungsbild ein. „Merle?“
„Sie soll mitmachen!“
„Miloš?“
„Jep.“
„Nieke?“
„Sehr gerne.“
„Gut, dann bist du dabei. Eigene Lieder sind ausdrücklich erwünscht, sofern die Botschaft zu uns passt. Kritik und Verbesserungswünsche auch. Proben sind Dienstags ab halb acht. Hast du noch Fragen?“
„Ja. Merle sagt, ihr tretet auf. Was passiert mit der Gage? Teilt ihr das Geld auf oder landet es in der Bandkasse?“
„Wenn nicht gerade irgendwelche Anschaffungen anstehen, teilen wir es auf.“
„Wann ist der nächste Auftritt?“
Merle antwortet: „David hat sich noch nicht bei mir gemeldet.“

Keine Kommentare: