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1. Juni 2016

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hundertsechzigstes Kapitel

Ich verziehe mich nach draußen. Gleich nebenan stehen ein paar Bänke, ein paar Heizstrahler und ein paar Aschenbecher. Und drumherum ein paar Raucher. Na ja. Ein bisschen mehr Ruhe wäre mir lieber. Ich gehe um das Veranstaltungsgebäude herum bis in das mit Hecken umsäumte Gärtchen, in dem bei Tageslicht Fotos vom Brautpaar und seinen Gästen gemacht worden sind. Mittendrin steht ein Springbrünnchen, das nachmittags noch plätscherte. Mittlerweile ist es abgeschaltet worden.
Der Kies knirscht unter meinen Schuhen. Von der Feier schallt Musik herüber. Gegenüber des Geländes befindet sich die Bahnlinie nach Alkmaar; ein Zug rauscht gerade durchs Bild. Hinter den Gleisen entsteht ein Neubaugebiet.
Ich gehe um den Windfang herum und finde unterm Heizstrahler Nieke. Sie raucht.
„Willst du alleine sein?“, frage ich sie.
„Nein, nur im Kopf ein bisschen runter kommen. Ich bin lange nicht bei so einem Konzert gewesen. Und noch viel länger ist es her, dass ich selber beteiligt war.“ Sie hat von drinnen ein paar Stuhlkissen mitgenommen und gibt mir eins. Ich lasse mich neben ihr nieder.
„Auch eine?“, fragt sie und hält mir das Zigarettenpäckchen hin.
„Ich rauche nicht.“

Nach einem langen Schweigen fragt sie: „Darf ich was über eure Band erfahren?“
„Klar“, wundere ich mich ein bisschen über ihren Satzbau. „Frag.“
„Seid ihr alle Christen?“
„Nein, nur Miloš und ich. Merle nicht. Noch nicht. Allerdings wolltest du dir ja abgewöhnen, „ihr, die Band“ zu sagen, und stattdessen von „wir, die Band“ reden.“
„Wann habe ich gesagt, dass ich mir das abgewöhnen wollte?“
„Das hab ich dir gerade gesagt“, lache ich. „Ich würd sagen, du gehörst dazu.“
„Okay. Dann sind wir alle Christen bis auf Merle.“
„Das hab ich mir schon gedacht.“
„Zum Glück sind die Donnerdrummels trotzdem keine dieser typisch christlichen Bands.“
Ich schnaube. „Von allen Schubladen, die es für Bands gibt, will ich in die als letztes.“
„Warum?“
„Es gibt so gruselig schlechte christliche Musik, die von vielen nur gut gefunden wird, weil sie halt Christen sind und meinen, deswegen christliche Musiker unterstützen zu müssen. Als Akt der Nächstenliebe sozusagen. Dafür ist mir meine Zeit zu schade und ich will das auch niemandem zumuten. Ich überzeuge lieber mit musikalischer Qualität.“
„Das gelingt gut. Noch dazu verwendet ihr nicht dieses plakative und bedrohliche „du musst dich zu Jesus bekennen, sonst kommst du in die Hölle“, sondern Jesus wird als Mensch erklärt, als Freund, der Zeit mit dir verbringen will. Das gefällt mir sehr.“
Da muss ich lachen. „Miloš hat dir sein Höllenlied noch nie übersetzt, he? Das ist sehr plakativ. Das zeichnet die meisten seiner Lieder aus. Da gibt es schwarz und weiß. Bevor er Gott kennen lernte und jetzt. Für Gott und gegen Gott. Und dazwischen: nichts.“
„Klingt ziemlich extrem.“
„Er ist extrem.“
„Und was ist mit dir?“
„Ich bin in den meisten Fragen sehr liberal. Das hängt mit meiner Erziehung zusammen und meinem Gottesbild.“
„Wann hast du ja gesagt zu Gott?“

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