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3. Juni 2016

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„Du nimmst Merles Kündigung also nicht ernst?“
„Doch, auf jeden Fall. Aber ich sehe darin nicht den Schlusspunkt unserer Bandgeschichte. Das ist eine komplizierte Angelegenheit. Sei so gut, red nicht drüber.“
Sie winkt ab und tippt auf der Scheibe herum. „Siebenundzwanzigster bis neunundzwanzigster Juni. Okay. Aber am Samstag, Herr Hold-und-Lind, habe ich keine Zeit.“
„Was tust du denn an dem Tag, anstatt Zeit für mich zu haben?“
Sie lacht. „Ich habe ein Sozialleben jenseits der Band.“
„Dann hast du es gut. Mein Sozialleben hat fast immer mit Bandmitgliedern zu tun. Jetzt kommen harte Zeiten auf mich zu, denn ohne Band keine Bandmitglieder, ergo kein Sozialleben. Was ist mit dem Samstag danach?“
Sie tippt auf das entsprechende digitale Kalenderblatt. „Dienstreise.“
„Samstags?“
„Der Samstag ist nicht der erste, sondern der vierte Reisetag von insgesamt acht.“
Stimmt … sie hatte es in den Bandkalender eingetragen, dass sie an dem Dienstag nicht kann. „Wo geht’s denn hin?“
„Frankfurt und Verona.“
„Und der danach?“
Dafür muss sie nicht gucken. „Mamas Geburtstag.“
„Und der danach?“
„Jeremy, du bist eine Nervensäge. Willst du jetzt alle Samstage bis Silvester abklappern?“
Das bringt mich auf eine gute Idee. „Wie sieht es bei dir an einem anderen Tag aus? Dienstags zum Beispiel, die Bandproben fallen ja gerade aus.“
Sie seufzt und drückt ein Knöpfchen, sodass das Bild wieder erscheint. „Freitag?“
„Da habe ich keine Zeit.“
„Was tust du denn an dem Tag, anstatt Zeit für mich zu haben?“, lacht sie.
He, das ist meine Frage von eben, oder? „Ich gehe mit Sloba ins Kino.“
„Jeden Freitag?“
„Nein, am neunten.“
„Gut, und was ist mit dem sechzehnten?“
„Freitag, sechzehnter Mai … keine Einträge.“
„Gut, ich notiere es. Wie viel Uhr?“
„Ähm … ich ruf dich an.“
„Mach das. Übrigens, erkundige dich bitte beim Restaurant deiner Wahl, ob man freitags reservieren sollte, es wäre blöd, wenn wir warten müssen. Und denk dran, wir wollen fein essen gehen. Wenn du in diesen Sachen aufläufst, nehme ich dich nicht mit.“
„Wieso, findest du etwa, dass sie mir nicht stehen?“, frage ich und weise an mir herab. „Karohemd, schwarze Jeans, Cokkos alte Doc Marten's – das ist durch und durch solide.“
„Vor allem diese irrsinnige Farbkombi aus orange und mittelgrün in deinem Hemd.“
„Gut, ne?“
Sie sagt nichts, aber das ist nicht nötig: jeder kann ihre Gedanken lesen.
Ich muss noch einen drauf setzen. „Sloba ist übrigens meine erste Liebste, die das gar nicht schlimm findet.“
„Sloba hat keinen Stil“, rutscht es ihr raus; sofort wird sie knallrot. Sie wendet sich ab, aber das ist natürlich zu spät. Am Heben und Senken ihrer Schultern sehe ich, dass sie mehrmals tief durchatmet. „Verzeih, Jeremy.“
Ich gehe um sie herum. „Weißt du was, ich mag deine Ehrlichkeit.“
„Hör bitte auf, dich über mich zu belustigen“, murmelt sie leicht entfärbt und guckt mich immer noch nicht an.
„Ich meine das echt so. Du bist zwar ziemlich still, aber wenn du was sagst, hat es Hand und Fuß.“ Es stimmt nämlich. Sloba hat keinen Stil. Und eine total verschobene Wahrnehmung, schließlich hält sie mich als vermutlich einziger Mensch auf der Welt für ernst. Das alles ließe sich ertragen, hätte sie normale Umgangsformen. Leider ist es nicht so. Schlimmer noch: wenn sie nicht auffällt, fehlt ihr was.

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