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11. November 2015

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Aber ich werde ihn nicht fragen; zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er mir einen dummen Spruch verpasst. Stattdessen komme ich, als er fertig telefoniert(110) hat, auf das Thema „Urlaub verlängern“ zurück: „Was schwebt dir denn vor, wo wir festmachen, wenn nicht in Zuyderkerk? Wir müssen nämlich an Land gehen, ich hab nichts zu Essen dabei.“
„Gar nichts? Cokko hat gesagt, du hast immer was an Bord.“
„Ja, Notrationen. Wenn du staubtrockene Armeekekse ohne jeden Geschmack und Astronautenproteine aus der Tube essen willst, bitte. Ich will was Anständiges.“
„Dann müssen wir doch heute nach Zuyderkerk zurück.“
„Wieso denn das? Du wolltest doch unbedingt den Urlaub verlängern?“
Er schaut mich nicht an. „Ich dachte, wir schlafen hier und du hast auch noch etwas zu Es­sen, da muss ich nichts mehr kaufen. Ich werde auf dem Schiff bleiben, wenn du essen gehst.“
„Kommt gar nicht in Frage. Ich lad dich ein. Also, wo gehen wir an Land?“
„Das ist nicht nötig. Ich bleibe hier.“
Wie hatte er das Freitagabend am Lagerfeuer noch gesagt? „Es ist nicht okay, wenn du alleine hier sitzt“, verwende ich seine Worte.
„Aber ich habe kein Geld mehr.“
„Na und? Wir gehen essen. Basta. Wo willst du hin?“
Er ergibt sich. „Wir könnten in der Stadt anhalten, wo die Fähre hinfährt.“
„Harlingen? Och nee“, mache ich. „Denk dir was anderes aus.“
„Dann vielleicht an der Schleuse.“
„Da ist es hässlich und laut von der Autobahn. Was anderes.“
„Wie soll ich mir etwas anderes ausdenken? Wer kennt sich hier aus; du oder ich?“

Wir reden nicht mehr viel, was vor allem daran liegt, dass er über irgendwas intensiv nachdenkt. Es scheint ihn sehr zu beschäftigen, denn nach Durchfahrt der Lorentzsluis fragt er nicht, ob er wie versprochen wieder ans Ruder darf.
Solange er nicht von selber darauf zu sprechen kommt, werde ich es ihm nicht aufdrängen.
Am späten Nachmittag treffen wir in Workum ein, einer kleinen Stadt am friesischen Ufer des IJsselmeers. Hier werden wir übernachten.
„Kennst du dich hier aus?“, fragt mein Kumpel und guckt sich aufmerksam bei der Einfahrt in die Marina um. Jeder Hafen hat seinen ganz eigenen Charakter.
„Ja. Ich war schon oft hier. Um die Ecke gibt es ein Restaurant, die Trattoria da Griselda. Da kriegst du die beste Pizza des Landes.“
Ich vertäue die Kaap Hoorn an einem freien Steg und wir gehen los zum Hafenmeister. Zuletzt gab es keine Liegeplatzgebühren, aber wer weiß schon, ob das noch so ist?

Nach dem Essen eröffnet er mir: „Ich muss dich was fragen“ und „Kann man hier irgendwo spazieren gehen?“
„Ja, kann man“, erwidere ich und leite ihn auf den Weg zum Strand – einem der wenigen Natursandstrände des IJsselmeers.
Er fängt das Gespräch damit an, dass er erst mal eine Weile gar nichts sagt.
Ich gehe neben ihm her, denn irgendwann wird er schon rausrücken mit seiner Frage. Verträumt schaue ich mir den pastellblauen und mit orangefarbenen Flugzeugstreifen verzierten Himmel an, sehe den Möwen zu, wie sie auf dem sanften Wind segeln und denke, dass es gut ist, hier zu sein. Auch das Dasein behagt mir heute sehr.
Endlich holt er tief Luft und beginnt: „Ich möchte wissen, was ist das für ein Gott, von dem du die ganze Zeit redest? – Nein, das ist falsch“, unterbricht er sich selbst, „Du redest überhaupt nicht von ihm. Ist dieser Gott denn ein großes Geheimnis von dir? Aber das passt nicht zu der Art von euch Christen. Christen wollen immer alle missionieren. Eelco zum Beispiel oder auch Maarten. Aber dafür redest du viel zu wenig von deinem Glauben an diesen Gott. Das verstehe ich nicht. Und wie kannst du so fest an etwas glauben, das du noch nie gesehen hast? Etwas, das es vielleicht gar nicht gibt, weil es noch niemand gesehen hat?“, sprudelt es aus ihm heraus. „Würdest du mir vielleicht erklären, was das ist mit deinem Gott?“

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